Kaum ein Land wandelt sich so rasant wie China. Und auch junge Chinesen verändert sich: Eigene Interessen und Bedürfnisse werden ihnen immer wichtiger. Und sie rebellieren gegen gesellschaftliche Normen und die Vorstellungen ihrer Eltern.
Ja, Chinas junge Generation der 20-Jährigen ist fleißig, aber sie ist im Gegensatz zu den vorherigen Generationen sehr individuell und sucht immer stärker ihren eigenen Weg, sagt die Journalistin Sonja Maass. Zusammen mit ihrem Kollegen Jörg Endriss hat sie ein Buch zum Thema geschrieben: "Chinakinder – Moderne Rebllen in einer alten Welt".
Spätere Rebellion
Rebellion würde bei uns in Deutschland oft im Alter von 15 oder 16 Jahren anfangen, sagt Jörg. In China sei in dem Alter dafür aber überhaupt keine Zeit. Die Schüler stehen teils vor sechs Uhr morgens auf und beenden ihren Tag mit kurzen Lernpausen manchmal erst um 22 Uhr.
"Die ganze Persönlichkeitsfindung, Pubertät, das findet eigentlich erst später statt. Und eigentlich jetzt erst in dieser Generation, dass man sich fragt, wer ist man selbst eigentlich?"
In ihrem Buch porträtieren die beiden Journalisten über 30 junge Chinesen. So zum Beispiel eine 20-jährige Studentin, die eine große innere Leere verspürt hat: Sie hatte nie Zeit, etwas eigens zu machen, wie Sonja erzählt. Im Studium habe sie dann pausiert, um ein halbes Jahr alleine Richtung Tibet und Nepal zu reisen. Die Erfahrungen haben ihre Persönlichkeit, ihr Weltbild und ihre politischen Ansichten deutlich verändert - und sicher habe sie mit der Reise auch gegen gesellschaftliche Normen rebelliert.
"Für die Elterngeneration ist sowas eigentlich etwas Undenkbares, dass man eine Pause vom Studium einlegt und in deren Augen sinnlos durch die Gegend reist.“
Schule, guter Uni-Abschluss, Job, Heirat und Kinder - das seien in der Vorstellung der meisten Chinesen die Ziele im Leben. Für eigene Bedürfnisse und Interessen sei da kein Platz. Der Versuch, dem gesellschaftlichen Druck zu entfliehen und seinen Wünschen nachzukommen, höre sich für uns hier vielleicht nicht ganz so spektakulär an, sagt Jörg. In China sei das etwas ganz Neues, das es in den vorherigen Generationen so nicht gegeben habe.
Generationswechsel nicht nur in der städtischen Mittelschicht
Beeindruckt waren Sonja und Jörg von Ran Qiaofeng, einem jungen Wanderarbeiter, der Gedichte über sein Leben schreibt und sie ins Netz stellt. Der Mitte 20-Jährige stammt aus einem Dorf, ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, mit 17 Jahren von der Schule geflogen und hat anschließend unter teils furchtbaren Bedingungen angefangen, in Fabriken und auf Baustellen zu arbeiten, erzählt Jörg: "Er hat gesehen, wie Leute von Gerüsten gefallen sind, wie zum Teil bei Unfällen Metallstücke in den Schädeln geblieben sind. Darüber hat er geschrieben“.
Erstaunlich seien seine klaren Analysen der Situation für Arbeiter. "Ran Qiaofeng gehört zu den unglaublich vielen Wanderarbeitern, die es in China gibt. Aber auch unter den Wanderarbeiten gibt es einen Generationswechsel", sagt Sonja. Junge Wanderarbeiter würden sich heute nicht mehr einfach ihrem Schicksal fügen, auch sie würden mehr vom Leben erwarten.
Sicherheit, Stabilität und das Internet
Woher der Wandel in der jungen Generation kommt, dafür sehen die beiden Journalisten drei Hauptgründe: "Die jungen Leute, die in der Stadt aufgewachsen sind, sind die erste Generation, die in materieller Sicherheit und politischer Stabilität aufgewachsen ist und sich dementsprechend um Materielles keine Sorgen machen muss", sagt Sonja. Zum ersten Mal würden junge Menschen nach anderen Dingen streben können, sich selbstverwirklichen und eigene Interessen und Ziele verfolgen. Der andere wichtige Grund für den Wandel sei das Internet, sagen die Journalisten:
"Durch das Internet kommt die junge Generation mit ganz anderen Ideen und Lebensmodellen in Berührung als die Generation davor."
Zwar versuche die chinesische Regierung die Kontrolle im Internet zu behalten, doch der Großteil der Freiheiten, um die es den jungen Leuten gehe, sei nicht unbedingt die politische Freiheit, sondern vor allem die Freiheit im gesellschaftlichen Sinne und das Aufbrechen bestehender Normen, sagt Jörg.
"Eine direkte Rebellion gegen den Staat, ich glaube, da haben Viele erst mal aufgegeben. Auch wenn es da sehr viel Kritik gibt und sehr viel infrage gestellt wird."