Seit Carola Rackete sich als Kapitänin mit der italienischen Regierung 2019 anlegte, um aus Seenot gerettete Menschen an Land zu bringen, ist ihr Gesicht in den Medien bekannt. Viel stärker als für Menschenrechte setzt sie sich für den Klima- und Artenschutz ein. Auf dem Forschungsschiff Polarstern hat sie 2011 gesehen, wie schnell das Eis am Nordpol abnimmt und beschlossen, ihre Zeit für den Klimaschutz einzusetzen, weil der Menschheit die Zeit davon läuft.
"Diese extreme soziale Ungleichheit und diese extremen ungleichen Machtverhältnisse auf der Welt haben uns an einen Punkt gebracht, dass wir das Erdklima bald komplett aus dem Gleichgewicht gebracht haben und das sechste Massensterben der Arten erleben. Wir können uns nicht mehr zurücklehnen, wir müssen uns einsetzen."
Die 33-jährige Carola Rackete ist bekannt geworden, als sie 2019 als Kapitänin über 50 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet- und mit ihrem Schiff ohne Genehmigung einen italienischen Hafen angelaufen hat. In Italien wurde sie inhaftiert, doch ein Gericht hat das Verfahren gegen sie eingestellt. Seitdem ist sie zu einer Symbolfigur geworden, aber nicht nur im Bereich Seenotrettung und Menschenrechte, sondern auch für Klimagerechtigkeit.
"Es ist von dieser Seenotretterin eine mediale Figur erschaffen worden, die so eigentlich gar nicht existiert."
In den Medien erfahren wir meist nur wenig von den Gründen, warum Menschen aus ihrer Heimat flüchten und diesen gefährlichen Weg nach Europa einschlagen. "Die meisten Menschen, die gerettet werden, sind in Libyen Opfer von sehr schweren Menschenrechtsverletzungen geworden", erklärt Carola Rackete. "Wir sprechen von Kidnapping, Folter, Vergewaltigung und so weiter, die dort sehr regelmäßig vorkommen und auch sehr genau dokumentiert sind."
"Diese Rückführung der Menschen aus dem Mittelmeer nach Libyen wird von der EU finanziert und diese Menschen werden ganz systematisch daran gehindert, Asyl zu suchen."
Die Aktivistin kritisiert, dass die Europäische Union (EU) systematisch Geflüchtete nach Libyen zurückdrängt. Die Grenzagentur Frontex habe Daten von Flüchtlingsbooten direkt an die libysche Küstenwache weitergeleitet, die Geflüchtete nach Libyen zurückbringe, wo sie in Detention Centre verschwinden. Dort seien sie diesen Menschenrechtsverletzungen systematisch und regelmäßig ausgesetzt.
Ständige Bedrohung für Aktivist*innen
Für ihre Haltung wird Carola Rackete angefeindet, attackiert und beleidigt. Für sie selbst sei das nicht wirklich ein Problem, aber sie kennt Aktivisten und Aktivistinnen, die sich in ihrem Heimatort beispielsweise gegen Rechtsextremismus positionieren und dort auch ihren festen Wohnsitz haben. Sie würden direkt bedroht und attackiert werden, genauso wie der Staatsanwalt und die Richterin, die Carola Racketes Fall in Italien verhandelten. Sie erhielten per Post Patronen, für die Kinder des Staatsanwalts sogar etwas kleinere. Menschen, die sich einsetzen, würden sich solchen tödlichen Bedrohungen gegenübersehen.
"Das ist ein Ausmaß von Druck, der da ausgeübt wird, der weit über Online-Beleidigungen hinausgeht und wirkliche, reale und tödliche Konsequenzen für Leute haben kann, die sich einsetzen. Das ist das Klima, in dem Aktivismus leider stattfinden."
Die Aktivistin hält es für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen diese Angriffe und die Rhetorik von Rechtsextremen vorzugehen. Wobei staatliche Institutionen wie die Polizei eine besondere Aufgabe hätten, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren und dafür zu sorgen, dass es innerhalb der Polizei keine "rechten Chatgruppen" mehr gibt, "da liegt bei den Behörden nochmal eine besondere Verantwortung".
"Wir können nicht darauf hoffen, dass jemand anderes etwas macht oder es sich von selber irgendwie verbessert. Nein, wir müssen daran teilnehmen und diese Veränderungen einfordern. Aber ich glaube auch, wenn Leute sehen, das andere das tun und das zu Veränderungen beitragen kann, dass sie sich dann anschließen."
Dass die EU sich vor Geflüchteten und Asylsuchenden abschottet, steht für Carola Rackete im Kontext der kolonialen Geschichte Europas, dessen Reichtum auf der Ausbeutung und noch immer unfairen Wirtschaftsverträgen und internationalen Abkommen mit dem globalen Süden beruhe. Würde man die aktuelle EU-Flüchtlingspolitik im Kontext der jahrhundertlangen Ausbeutung und des rassistischen Verhaltens sehen, sei sie eher das Ergebnis dieser Entwicklung. "Es gibt nicht die gleichen Rechte für alle in der EU, es wird kein Zugang zu Asyl garantiert", kritisiert die Aktivistin.
"Es gibt viele Dinge, die in der EU und in den Staaten, in denen wir leben, falsch laufen. Deshalb müssen wir uns zivilgesellschaftlich engagieren."
Dieses "Schönreden" der EU-Politik zeige sich auch bei der Einhaltung von Klimaverträgen oder der Bereitstellung von Geldern für Länder des globalen Südens im Sinne von Loss and Damage, die besonders von der Klimakrise betroffen sind. Für Carola Rackete sei die EU vor allem gut darin, die eignen Bürgerinnen und Bürger zu blenden und von den eigenen Menschenrechtsverletzungen, die an den EU-Außengrenzen geschehen, abzulenken.
"Das ist vielen Europäer*innen einfach nicht bewusst: Wir brechen ständig Verträge, die ganze Zeit."
In Deutschland sieht Carola Rackete den Einfluss von drei großen Lobbygruppen auf die Politik als ein großes Problem. Automobilindustrie, industrielle Landwirtschaft und die Energiewirtschaft würden sehr viel Geld dafür einsetzen, Klimaschutzmaßnahmen abzuschwächen oder zu verschleppen.
Wie Energiewirtschaft Klimaschutz verhindert
Das habe sich auch bei der Weltklimakonferenz gezeigt, wo die größte Delegation mit über 500 Leuten von den fossilen Energieunternehmen geschickt wurde. Die Aktivistin glaubt, dass wir die Klimakrise als ein Verbrechen der fossilen Energieindustrie an uns betrachten müssen. Beispielsweise hätten der US-amerikanische Erdölkonzern Exxon und das französische Mineralölunternehmen Total bereits durch interne Studien schon vor 50 Jahren das Wissen über die Auswirkungen der fossilen Wirtschaft gehabt und dieses verschleiert.
"Wenn wir als menschliche Gesellschaft irgendwie auf diesem Planeten länger überleben wollen, dann müssen wir viel mehr kooperieren und wieder wegkommen von diesem Denken, dass die Leute auf der anderen Seite der Grenze irgendwie anders sind."
Lobbyisten würden sehr viel Geld dafür einsetzen, dass sinnvolle Gesetze für den Klimaschutz verhindert werden. Sehr deutlich zeige sich das an dem US-Senator der Demokraten, Joe Manchin, der das Klimapaket von US-Präsident Joe Biden blockiert hat. Manchin stehe auf der Payroll von fossilen Energieunternehmen, sagt Carola Rackete.
Carola Rackete fordert neues Wirtschaftssystem
Mit Blick auf die künftige Bundesregierung oder überhaupt auf Wirtschaftspolitik denkt Carola Rackete, dass wir von dem bestehenden Konzept des Wirtschaftswachstums wegkommen müssen. Denn dieses Wachstum sei eng gekoppelt an einen hohen Material- und Ressourcenverbrauch, denn wir uns in Bezug auf den Schutz von Biodiversität oder das Ökosystem Meer nicht mehr erlauben können.
"Wir brauchen, wie der Weltklima- und der Weltbiodiversitätsrat deutlich feststellen, eine Abkehr vom Paradigma des Wirtschaftswachstums."
Deshalb müssten wir ein Wirtschaftssystem entwickeln, das dafür sorgt, dass alle Menschen mit dem versorgt werden, was sie zum Leben brauchen, und gleichzeitig die Ressourcen dieses endlichen Planeten schützt.
Biodiversität findet wenig Beachtung
Carola Rackete findet für sich selbst das "Thema Biodiversität und Artenschutz am spannendsten", weil genau da auch eine Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung klaffe. Selbst Klimaaktivisten hätte die Biodiversität nicht unbedingt so im Blick.
"Was die Ampelkoalition als Sondierungspapier herausgegeben hat, hatte einen mickrigen und sehr verwässerten Absatz zu Naturschutz."
Im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova-Moderator Sebastian Sonntag erzählt Carola Rackete, wie sie nach ihrem Studium der Nautik und des Naturmanagement 2011 mit dem Forschungsschiff Polarstern am Nordpol war und wie sie dort den Entschluss gefasst hat, Aktivistin zu werden, wie sie dann zu Greenpeace kam, warum sie im Dannenröder Wald Widerstand leistete, warum für sie ziviler Ungehorsam zu einer Taktik bei bestimmten Aktionen dazugehört, wie sich Rebound-Effekte negativ auf den Ressourcenverbrauch auswirken, warum wir eine ökologische Ökonomie brauchen und warum der Mensch ohne die Artenvielfalt keine Überlebenschance hat. Hört das ganze Gespräch und klickt einfach oben auf den Playbutton.
"Nachdem mir die Dramatik dieser Krise bewusst geworden ist, konnte ich einfach nicht in meiner Festanstellung bleiben. Mittlerweile mache ich hauptsächlich aktivistische Dinge. Ich arbeite nur noch ein absolutes Minimum für Geld. Ansonsten nutze ich meine Zeit, um mich aktivistisch zu engagieren. Ich glaube, es ist dringend notwendig, gesellschaftlich an vielen Themen etwas zu machen."