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Die AfD hat bei Arbeitern so gut abgeschnitten wie keine andere Partei. 38 Prozent von ihnen haben sie bei der Bundestagswahl gewählt – deutlich mehr als bei der letzten Wahl. Woran liegt das und wie können andere Parteien Arbeiter zurückgewinnen?

Den Anspruch, die Arbeiterpartei in Deutschland zu sein, hatte traditionell die SPD. Doch die Analysen der Bundestagswahl 2025 zeigen: Ausgerechnet bei ihrer Kernwählergruppe hat die SPD massiv an Wähler*innen verloren. 38 Prozent der Arbeiter haben die AfD gewählt.

Klaus Dörre überrascht das überhaupt nicht. Der Soziologe forscht an der Universität Jena zu der Frage, warum Arbeiter rechte bis rechtsextreme Parteien wählen. "Wir haben schon Anfang der 2000er bei den rechtsextremen Parteien einen deutlichen Arbeiterüberhang festgestellt.“ Die Tendenz habe sich dann bei den folgenden Wahlen verstärkt, beispielsweise bei den Europawahlen 2024 sowie bei den Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern.

Das Gefühl, immer wieder zu kurz zu kommen

Im Rahmen seiner Forschung interviewt Klaus Dörre regelmäßig Arbeiter. Dabei hat der Soziologe eine Erzählung, ein Narrativ herausgehört, das in etwas so geht: Wir, die Arbeiter, stehen am Fuße eines Berges der Gerechtigkeit und möchten hoch. Manche von uns sind sogar schon ein Stück hochgekommen, aber es geht seit langem nicht mehr weiter. Dauernd gibt es neue Gründe, warum es nicht weitergeht: Globalisierung, Euro-Krise, Flüchtlingskrise und so weiter.

Parallel dazu, führt Klaus Dörre weiter aus, erleben die Menschen vor allem auf dem Land, dass für nichts mehr Geld da ist. Schulen werden geschlossen, eine Kita gibt es nicht mehr, die Einkaufsmöglichkeiten brechen weg und die Buslinie wurde auch gestrichen.

"Nie ist für etwas das Geld da, außer es kommen plötzlich die, die 'wir nicht gerufen haben'. Und die bekommen plötzlich alles."
Klaus Dörre, Soziologe

Dann aber, so das Narrativ, kämen Migranten und Geflüchtete, die vermeintlich "alles" bekommen. Obwohl sie keine Leistungen erbracht, vorher nicht in die Kassen eingezahlt haben. Das wird als zutiefst ungerecht empfunden, erklärt der Soziologe. Und er betont: Diese Grunderzählung bestehe seit Jahrzehnten. Sie habe sich inzwischen verselbstständigt und radikalisiert.

Feindbild: Migranten im Sozialstaat

Was Arbeiter vor allem fürchten, ist der Verlust des Arbeitsplatzes und in Folge dessen des sozialen Status, sagt Klaus Dörre. Er macht es an einem konkreten Beispiel von Kassel und Umgebung fest deutlich: "Wenn Menschen, die dort zur Stammbelegschaft bei VW gehören, ihre Jobs verlieren, können sie möglicherweise bei der Rüstungsindustrie unterkommen." Darüber hinaus gebe es aber nur noch Dienstleistungsbereiche, in denen man viel weniger verdient und oft prekär beschäftigt sei.

"Die Beschäftigten haben nicht nur Angst vor Arbeitslosigkeit, sondern vor allem Angst vor dem Statusverlust, also davor, die Anerkennung in der Gesellschaft zu verlieren."
Klaus Dörre, Soziologe

Die AfD, so Klaus Dörre, sei es gelungen, die Sorgen der Menschen zu hören und zu sehen. Und die AfD hat noch etwas gemacht, sagt der Soziologe. Klassisch besteht der Streit um die soziale Frage in einem "Oben-unten-Konflikt". Also, die Reichen haben zu viel, die Armen zu wenig.

Doch die Alternative für Deutschland hat es geschafft, das umzudefinieren. "Sie hat einen Konflikt zwischen innen und außen kreiert", so Dörre. Also zwischen denjenigen, die in die Sozialsysteme eingezahlt haben und Anspruch aufs Volksvermögen haben, und denjenigen, die "wir nicht gerufen haben" und die nicht jahrelang in Sozialsysteme eingezahlt haben. Die AfD verspreche dagegen etwas zu tun und werde deswegen gewählt.

"Das Narrativ der AfD lautet: Einwanderer beuten uns Inländer aus. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden, zuallererst bei der illegalen Migration."
Klaus Dörre, Soziologe

Die Diskussionen um das Vorhandensein und den Status migrantischer Arbeiter findet inzwischen auch in Betrieben, Unternehmen und Teams statt, Feindseligkeiten und Diskriminierung inklusive. Das beobachte Oliver Preuß. Er ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi und entwickelt Strategien und Schulungen im Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Umgang mit extrem rechten Positionen und Einflüssen.

Politik am Arbeitsplatz: Spaltung in Betrieben sichtbar

Der Gewerkschaftssekretär berichtet von Teams, bei denen es "politisch so hoch hergeht“, dass sie nicht mehr gut zusammenarbeiten können. Ein anderes Beispiel, das er nennt, sind Chatgruppen, in denen es eigentlich um betriebliche Angelegenheiten gehen sollte. Doch dann tauchten da extreme Posts zum Thema Migration auf.

In solchen Fällen rät Oliver Preuß ganz klar einzuschreiten und zumindest die Diskussionen zu unterbinden. Das könne man machen, indem man klarmacht, was der inhaltliche Schwerpunkt der Gruppe sei und welche Themen hier fehlplatziert seien.

Oliver Preuß spricht sich außerdem dafür aus, Arbeitsmarkt und Migration klar zum Thema in Betrieben zu machen, weil die Existenz von migrantischen Arbeitern Teil der Realität sei und im Hinblick auf den bestehenden und sich künftig verschärfenden Arbeitskräftemangel eine noch größere Notwendigkeit werde.

Warum die AfD keine arbeiterfreundliche Politik verfolgt

Nun stellt sich aber die große Frage: Ist die AfD, die so erfolgreich bei Arbeitern punkten kann, tatsächlich eine Arbeiterpartei? Die Antwort des Soziologen Klaus Dörre ist eindeutig: Nein. Seine Begründung: Die AfD mache nichts, um die Rahmenbedingungen von Arbeiter*innen zu schützen oder zu stärken. Im Gegenteil: Sie ist gegen eine Stärkung von Tarifverträgen und sie ist konsequent gegen eine stärkere Besteuerung von Reichen. Außerdem spricht sie sich gegen Subventionen aus.

"Die AfD will einen starken, autoritären Staat. Unternehmen und Betriebe hingegen sollen so wenig Regulierung wie möglich erfahren. So ein Ansatz geht natürlich immer zu Lasten von Arbeitern."
Klaus Dörre, Soziologe

Würden die politischen Forderungen also umgesetzt, zögen Arbeiter*innen den Kürzeren, sagt Klaus Dörre. Warum wählen diese Menschen dennoch die AfD? Weil die seit Jahrzehnten herrschende Politik, genauso wie die Unternehmen die Arbeitenden hängen lassen, so Klaus Dörre.

Er nennt VW, die die Haustarifverträge aufgekündigt und die Beschäftigungsgarantie zurückgenommen haben. Genau das bestätige die Angst vor Job- und Statusverlust. Insgesamt, so die Einschätzung von Klaus Dörre, braucht es einen umfassenden Politikwechsel. "Es reicht nicht, Respekt zu sagen und das dann nicht mit entsprechender Politik zu unterlegen", sagt der Soziologe.

Diese Politik müsste zum einen die von Klaus Dörre immer wieder betonten Sicherheits- und Statusgarantien beinhalten, gerade weil es auch in der Industrie um viele Veränderungen gehe, siehe E-Mobilität oder der sogenannte grüne Stahl.

Doch wenn Belegschaften diesen Weg mitgehen, es dann aber heiße: Wir wissen nicht, ob das funktioniert, fühlten sich die Menschen natürlich veräppelt. Die AfD gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sie das anders angehen würde, betont Klaus Dörre. Im Gegenteil, sie wolle den Markt alles selbst regeln lassen. Aber die Partei vermittelt zumindest den Anschein, die Menschen mit ihren Anliegen zu hören und zu sehen. Und das wiederum scheint ein Kreuz bei der Wahl wert zu sein.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Bundestagswahl
Ist die AfD die neue Arbeiterpartei?
vom 25. Februar 2025
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Klaus Dörre, Professor für Arbeits- Industrie und Wirtschafts-Soziologie an der Universität Jena
Gesprächspartner: 
Oliver Preuß, Bildungssekretär im ver.di Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Unsere Quellen: