Eine aktuelle Analyse hat untersucht, wie schwer es Obdachlose haben, wählen zu gehen. Das Ergebnis: Die Hürden für Menschen ohne festen Wohnsitz sind hoch.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat eine Analyse herausgegeben, die untersucht hat, wie schwer es für Menschen ohne festen Wohnsitz ist, wählen zu gehen. Deutschlandfunk-Nova-Reporter Alexander Werth hat sich die Untersuchung genauer angeschaut und sagt: Prinzipiell können Obdachlose an der Bundestagswahl teilnehmen, aber sie haben es nicht leicht.
Ohne Adresse kein Eintrag im Wahlregister
Da Obdachlose meist keine feste Adresse haben, sind sie nicht automatisch im Wahlverzeichnis eingetragen. Das hat zur Folge, dass sie sich selbst aktiv eintragen lassen müssen – spätestens bis drei Wochen vor der Wahl. Stichtag war also Sonntag, der 5. September. Für diejenigen, die die Frist verpasst haben, wird es noch kniffliger, sagt Michael Krennerich, der die Studie durchgeführt hat: "Sie müssen dann extra einen Wahlschein beantragen und das begründen. Was aber besonders schwierig ist, weil das dann nicht das eigene Verschulden sein darf."
Michael Krennerich ist Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Uni Erlangen-Nürnberg, sein Schwerpunkt liegt auf Menschenrechten. Er hat für die Studie zum Beispiel Landeswahlleitungen befragt. Er fordert, die Hürden für den Eintrag ins Wahlregister zu senken. Er schlägt vor, Sammeleinträge zuzulassen.
"Ich habe noch nie gewählt. Weil alles, was versprochen wird, wird nie gehalten. Es heißt immer, es wird besser, es wird besser. Und es wird immer schlechter als besser."
Ein großer bürokratischer Aufwand und viel Papierkram – das ist für alle lästig. "Aber wenn du dann noch auf der Straße lebst – diese Menschen haben oft ganz andere Sorgen", sagt unser Reporter Alexander Werth. Er ist in Düsseldorf losgezogen, um mit Obdachlosen darüber zu sprechen. Aber das sei gar nicht so einfach gewesen, sagt er: "Es waren nur ganz wenige, die da Bock drauf hatten. Und die haben alle eigentlich das Gleiche gesagt." Viele wollen nicht wählen, weil sie sich von der Politik nicht wahrgenommen fühlen.
"So gut wie keiner interessiert sich dafür, weil wir sowieso nicht wahrgenommen werden. Keiner hat Lust, überhaupt irgendwas für uns zu tun. Es geht andauernd um Familie, Jugendheime, Kinder, Job, dies, das - aber nie um Obdachlose."
"Das ist ein Teufelskreis: Wenn die Politik sich nicht um die Themen der Obdachlosen kümmert, dann kümmern sich die Obdachlosen auch nicht um die Politik“, sagt Alexander Werth. Und wegen dieser großen Politikverdrossenheit unter Obdachlosen schlägt der Politikwissenschaftler vor, dass Menschen ohne festen Wohnsitz generell mehr Infos über Politik und die Wahlen bekommen müssten. Noch besser sei es, wenn diese Menschen erst gar nicht auf der Straße landen würden.
"Ich glaub, wenn die Leute nicht wohnungslos sind, dann haben sie auch en bisschen mehr Freiraum. Und vielleicht auch ein bisschen mehr Vertrauen in die Politik, dass sie sich engagieren können."
Michael Krennerich sagt, es gibt durchaus Obdachlose, die politisch informiert und interessiert sind. Aber gerade denen mache es die Bürokratie besonders schwer, an der Wahl teilzunehmen.
Kaum Zahlen zu Wohnungslosen
Insgesamt gibt es zu Menschen in Deutschland, die keinen festen Wohnsitz haben, nur vorsichtige Schätzungen. 2018 ging man von rund 40.000 Menschen aus. "Davon hat ein großer Teil nicht die deutsche Staatsangehörigkeit – ist bei der Bundestagswahl also sowieso raus", erklärt unser Reporter. Und von denjenigen, die wahlberechtigt wären, machen sich nur wenige die Mühe, um Wahlunterlagen zu beantragen: In Hamburg und Berlin liege die Zahl etwa im zweistelligen Bereich.
"Ich hab Daten aus Hamburg und Berlin. Und da merkt man: Es ist eigentlich nur im zweistelligen Bereich."
Ähnlich zeige sich die Situation in Düsseldorf, so unser Reporter. Die Stadt geht von rund 100 Obdachlosen aus, die sich für die aktuelle Bundestagswahl hätten registrieren lassen können. Getan haben es 25.