Immer häufiger werden an US-amerikanischen Schulen Bücher mit diversen oder queeren Inhalten verboten. Der kreative Widerstand dagegen ist ein Beispiel für gelebte Demokratie. Ein Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Heike Schäfer.
Im Schuljahr 2023/2024 gab es an Schulen in den USA über 10.000 Bücherverbote. Diese Zahlen nennt der US-Autorenverband PEN America auf seiner Website. Die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher, sagt Heike Schäfer. Denn von vielen Verboten erfährt der PEN America oft gar nicht erst.
"Das Ausmaß und das sich steigernde Tempo der Verbotsverfahren sind alarmierend."
Heike Schäfer ist Literaturwissenschaftlerin und Professorin für Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In ihrem Vortrag betont sie, dass Demokratie mehr ist als nur eine Staatsform. In Anlehnung an den US-amerikanischen Philosophen John Dewey begreift Schäfer Demokratie als eine Form des Zusammenlebens, in der wir respektvoll und offen miteinander kommunizieren.
Erasures als demokratische Literaturform
Die steigende Zahl der Bücherverbote in den USA bedroht diese Form des demokratischen Zusammenlebens. Zugleich aber zeigt sich im Widerstand gegen die Zensur, wie eine demokratische Diskussionskultur aussehen kann. Auch die Literatur selbst leistet kreativen Widerstand. Auf eine Form geht Heike Schäfer in ihrem Vortrag ausführlicher ein, die sogenannten "Erasures". Dieses literarische Stilmittel ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden.
"Es geht nicht nur darum, welche Bücher in einer bestimmten Bibliothek stehen dürfen, sondern letzten Endes werden Formen kultureller Teilhabe verhandelt. Es geht darum, wer zur Mehrheitsgesellschaft gehört und wer ausgegrenzt wird."
Erasures funktionieren so: Man nimmt einen Text, ein offizielles Dokument zum Beispiel, und schwärzt Wörter und Sätze so, dass die übriggebliebenen Wörter und Buchstaben einen neuen Sinn ergeben. So wird mit einem typischen Mittel der Zensur, dem Schwärzen von Textstellen, ein schon bestehender Text neu kommentiert.
Die Dichterin Nicole Sealey hat das zum Beispiel mit dem Ferguson Report getan. Der Ferguson Report ist der offizielle Abschlussbericht über die Erschießung des schwarzen Schülers Michael Brown in Ferguson, Missouri im Jahr 2014. Sealey hat den langen Bericht über viele Seiten so geschwärzt, dass die übriggebliebenen Buchstaben und Fragmente sich als Gedichte lesen lassen, die das, was geschehen ist, reflektieren.
Heike Schäfer ist Professorin für Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihr Vortrag hat den Titel "Im Zeichen der Zensur: Über Bücherverbote und ästhetische Verfahren des Auslöschens in der amerikanischen Gegenwartsliteratur". Sie hat ihn am 27. Januar 2025 in Frankfurt gehalten im Rahmen der Vortragsreihe "Was heißt 'Demokratische Lebensform'?" des Projekts "Democratic Vistas. Reflections on the Atlantic World" (Democratic Vistas) am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.