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Zwei Tonis, ein Pärchen, 110 Seiten und nur ein Absatz: "Toni & Toni" ist das Romandebüt des Österreichers Max Oravin – und ein großes Rätsel, findet unsere Rezensentin.

Wie jeden Morgen war Toni beim ersten Anklingen des Wecktons auf seinem Smartphone aufgestanden. Hat sich in die Küche in seine Nische gesetzt, die Beine ineinandergeschoben und meditiert. Hat sich Brote geschmiert, einen Tee getrunken und dann an den Laptop gesetzt, um zu lesen. Wie immer also.

Und doch anders. Er ist unruhig, kommt nicht klar. Jetzt sitzt er zwar vor einem Bildschirm, aber nicht nach Plan und auch nicht auf seinem Stammplatz in der Nationalbibliothek. Und Toni kommt zu spät zu der Schulung, wenn er sich nicht beeilt.

Auf dem Weg zur Maßnahme

Zwei Tage wird er sich weiterbilden lassen müssen, an einem Ort, der ihm nur allzu vertraut ist. Weil es wieder Zeit dafür sei, hatte seine freundliche Betreuerin im Amt gesagt und ihm den Plan ausgedruckt.

Und während Toni vertraute Straßen entlang geht, die verlorene Zeit bedauert und gleichzeitig versucht, einen Rhythmus beim Gehen und Atmen zu finden, muss er immer wieder an Toni denken. An Toni, die Frau in seinem Bett. Von der Beziehung zwischen Toni und Toni erzählt das ungewöhnliche Romandebüt des Österreichers Max Oravin.

Ungewöhnlich deshalb, weil diese Geschichte anfangs wie ein undurchdringliches, wirres Geflecht aus Worten, Schrift- und Satzzeichen erscheint. Dann erkennt man so etwas wie ein Muster, wenn auch mit vielen kleinen Veränderungen in der Farbe, in der Form, beim Material. Auf den einhundertzehn Romanseiten gibt es genau einen Absatz: auf Seite einhundertzehn.

"Würde man den Text wie einen Teppich vor sich ausbreiten können, dann stünde man vor einem großen Rätsel. Man durchdringt es einfach nicht."
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin

Toni und Toni heißen wirklich so. Es sind Spitznamen. Wie sie sich kennenlernten, das war so: der eine Toni sitzt eines Abends lesend an der Pforte vom Loft, einem Künstlerhaus. Er ist Philosoph und zufrieden. Und dann steht die andere Toni plötzlich vor ihm. Sie wartet geduldig, bis er sie bemerkt. Sie fragt ihn, wie lange sie proben darf. Sie ist Tänzerin. Er wollte eigentlich um elf Feierabend machen, sagt aber, dass er bis Mitternacht da sei.

Toni trifft Toni

Und dann stellen sie sich einander vor. Toni. Und Toni. Wie lustig. Gar nicht so lange später sind sie nicht mehr nur Künstlerin und Pförtner, sondern Performerin und Performer, Liebende und Liebender.

"Toni und Toni, ein Duo aus dem Bilderbuch. Und sie sind gut zusammen, wirklich gut. Sie ergänzen sich, ihre Körper passen zusammen, als wären sie füreinander bestimmt."
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin

Sie entwickeln eine Show, sie proben bis zur Erschöpfung. Sie begegnen sich, als wären sie die Spiegelung des jeweils anderen, sie fließen in- und umeinander. Aber dann passiert was. Toni hat einen Unfall. In einem Club. Kurz vor der Premiere. Und plötzlich tut sich ein Riss auf.

Tagein, tagaus geht Toni von nun an in die Bibliothek und bringt sich Japanisch bei. Er wartet. Darauf, dass Toni, die andere, wieder gesund wird, wieder auftaucht, mit ihm tanzt. Er meditiert und liest buddhistische Texte über das Nichtssein. Denn jedes Mal, wenn er die Wohnung verlässt, weiß er nicht, was ihn erwartet, wenn er nach Hause kommt. Er weiß nicht, ob Toni dann noch da ist.

Das Buch
"Toni & Toni" von Max Oravin, Literaturverlag Droschl, 110 Seiten, gebundene Ausgabe, 21 Euro.

Der Autor

Max Oravin, geboren 1984, aufgewachsen in Graz, lebt als Schriftsteller und Sound Artist in Wien. Seine audiovisuellen Textperformances wurden auf internationalen Festivals gezeigt. 2013–2018 war er Teil von Babelsprech, eines Netzwerks junger deutschsprachiger Lyrik.

Seine Texte wurden sowohl im deutschsprachigen Original als auch in verschiedenen Übersetzungen in Literaturzeitschriften und Anthologien publiziert. Toni & Toni ist sein Debütroman.

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment …
…wenn du nach Hause kommst – und niemand da ist
vom 06. Oktober 2024
Autorin: 
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin