Bis 22.00 Uhr britischer Zeit konnte noch abgestimmt werden: Stay or go? Wir haben zwei Briten gefragt, die mitzittern. Wie geht es ihnen heute? Und was passiert, wenn der Brexit kommt?
Fassungslos, wütend, optimistisch, aufgeregt. Die Remain-Fraktion der Briten ist fast am Ende. "Nichts geht mehr" heißt es nach der Abstimmung. Die Nerven der Briten sind zum Zerreißen gespannt. Auch bei Lucy Scanlon; sie hat European Studies studiert und ist richtig besorgt über das Ergebnis: "Ich befürchte, es wird eine Katastrophe für Großbritannien sein. Wir sind zusammen stärker."
"Ich glaube, es ist für viele keine Abstimmung mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen."
Lucy und ihre Freunde sind allesamt dafür, dass Großbritannien in der EU bleibt. Anders sieht das im ländlichen Cornwell aus, wo sie nach ihrer Studienzeit lebt: hier ist das Lager der "Leave"-Unterstützer größer als in der Hauptstadt. Ein wirklicher Austausch, ein Verstehen zwischen beiden Lagern gibt es kaum, erklärt Lucy. Ansonsten würde sie gerne aufklären. Viele Fakten der Pro-Brexit-Campaignern wären schließlich schnell als Lügen zu enttarnen, sagt sie. Aber die Emotionen entscheiden in beiden Lagern mit.
The British way of showing the middlefinger
Niels Walker ist Brite, Journalist und lebt und arbeitet in Deutschland. Er hat einen britischen Pass, darf aber nicht abstimmen, weil er kein "British Resident" ist. Nichts tun zu können, macht ihn gerade wahnsinnig. Er hat schon darüber nachgedacht, ob er noch irgendwie tricksen soll. Nein, stattdessen, setzt er auf die Verwandtschaft in England. Die sehen die Sache genau wie er: EU und Großbritannien gehören zusammen.
"Jetzt sitze ich hier in Deutschland und leide!"
Der EU-Austritt wäre eher ein riesiges symbolisches " Fuck you" von der Insel. Das meint nicht nur Niels, sondern auch seine britische Verwandtschaft. Er glaubt, auch die Deutschen und die Franzosen würden einen Austritt wagen – wenn sie denn könnten. Zum einen aus reiner Protesthaltung. Zum anderen motiviert durch rechte Bewegungen, die es in vielen europäischen Ländern gibt. In England sind das UKIP-Wähler – "unzufriedene weiße alte Männer", sagt Niels.
"Es ist völlig idiotisch, dass da jetzt so ein Grenzzaun aufgebaut wird von irgendwelchen Vollidioten, die glauben, sie wären als einzelnes kleines Inselvölkchen viel besser dran als in der EU."
Und noch etwas spielt mit hinein: Die Briten, vermutet Niels, agieren aus ihrem Sonderstatus und einer Distanz zum restlichen Europa heraus. Nicht umsonst wird in Großbritannien von Europa immer gerne als "abroad" – also "drüben" gesprochen. Lucy will im Moment am liebsten gar nicht darüber spekulieren, welche Folgen der EU-Ausstieg haben könnte. Es wäre ein Schritt ins Ungewisse.
"Ich will nicht daran denken, wie es ist, wenn Brexit durchkommt. Es fühlt sich an wie ein Albtraum."
Lucy hat schon abgestimmt - sie ist aber überhaupt nicht sicher, wie die Entscheidung heute ausgehen wird. Wenn der Brexit wirklich kommt, würde sie die Staatsbürgerschaft ihres Vaters annehmen. "Dann werde ich vielleicht Irin und bleibe in der EU." Und Niels Walker hat noch eine Nachricht für alle unzufriedenen, weißen, alten Männer: "Wenn ihr weiter problemlos nach Malle fliegen wollt, denkt noch mal drüber nach. Denn vielleicht müsst ihr dann doch auf eurer Regeninsel bleiben."
Um 22.00 Uhr britischer (23.00 Uhr unserer) Zeit schließen die Wahllokale. Dann werden erste Hochrechnungen erwartet. Alle Updates bekommt ihr im Brexit-Liveticker der Tagesschau.