Weil die britische Premierministerin Theresa May in Großbritannien keine Unterstützung für eine klare Strategie in Brüssel hat, ist ein No-Deal-Brexit nicht ausgeschlossen, meint Jeremy Cliffe vom Wirtschaftsmagazin The Economist.
Die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union über den Brexit verlaufen schleppend und die Zeit wird knapp. In gut einem halben Jahr ist es so weit, dass Großbritannien aus der EU austritt.
Die britische Premierministerin Theresa May hat einmal gesagt: "No deal is better than a bad deal." Doch das hält der Wirtschaftsjournalist Jeremy Cliffe vom Wirtschaftsmagazin The Economist für unrealistisch.
Zäher Scheidungsprozess zwischen Großbritannien und der EU
Es gehe bei den Verhandlungen um das "Scheidungsabkommen" zwischen Großbritannien und der Europäischen Union: Wie soll der Brexit gestaltet werden? Welche Abkommen in Bezug auf Handel, Freizügigkeit oder Verkehr sollen geschlossen werden? Dabei gehe es um ganz grundsätzliche Regelungen, weshalb Großbritannien auf ein Abkommen mit der EU nicht verzichten könne.
"No-Deal-Brexit wäre so katastrophal für Großbritannien und für Theresa May, dass das keine Option für sie sein kann."
Dass sich die Brexit-Verhandlungen so kompliziert gestalten, liege vor allem daran, dass die Brexit-Befürworter den Wählern nie wirklich erklärt hätten, welche Kompromisse Großbritannien eingehen müsse, um den Brexit überhaupt vollziehen zu können. Der Wirtschaftsjournalist erklärt, dass entweder die Freizügigkeit beendet werden oder Großbritannien die Vorteile des Binnenmarkts genießen könnte – aber nicht beides gemeinsam.
Weder Mehrheit für weichen noch für harten Brexit
Jeremy Cliffe erklärt, dass das Problem darin liege, "dass es in Großbritannien keine Mehrheit für den sogenannten weichen Brexit gibt, also im Binnenmarkt, in der Zollunion bleiben. Aber auch keine eine Mehrheit für den sogenannte harten Brexit ohne diese Verbindungen zur EU", weshalb es für Theresa May sehr schwer sei, Kompromisse in Brüssel einzugehen.
"Theresa May hat zu Hause in Großbritannien keine Unterstützung für eine klare Strategie."
Tatsächlich könnte der Fall eintreten, vermutet der Wirtschaftsjournalist, dass es keinen Deal geben könnte, auch, wenn Theresa May das nicht glaube. Die politische Lage in London könnte sich so verändern, dass kein Abkommen mit der Union zustande kommt, was am Brexit-Tag nächstes Jahr chaotische Folgen nach sich ziehen würde.
"Ohne Abkommen könnte die Situation am 30. März 2019 sehr chaotisch werden. Das ist der Brexit-Tag."
Konkret hätte Großbritannien beispielsweise keinen Zugang zum Zollabkommen der EU und müsste auf EU-Waren höhere Zölle bezahlen, wodurch die Kosten für die Industrie steigen würden. Es würde auch zu einem Verkehrschaos kommen, weil der Handel mit der EU an den Schifffahrts- und Flughäfen kontrolliert werden müsste. Daran schließt sich die Frage an, ob in einer solch chaotischen Situation genug Lebensmittel und Medikamente nach Großbritannien eingeführt werden könnten. "Das wäre wirklich katastrophal für das Land", sagt Jeremy Cliffe.
"Man spürt, dass sich die Stimmung im Land ändert."
In der Bevölkerung spüre man eine veränderte Stimmung, berichtet Jeremy Cliffe. Die Diskussionen um ein No-Deal-Brexit verängstige die Menschen. Die Bevölkerung frage sich, ob es sich wirklich lohne, diesen chaotischen Brexit zu wagen, und ob die Vorteile so groß seien. Aber noch gebe es keine politische Unterstützung im Unterhaus für diese Stimmung und ein neues Referendum erklärt Jeremy Cliffe.
Noch fehlt die politische Unterstützung für ein neues Referendum
Theresa May hat ein neues Referendum ausgeschlossen. Die Opposition, die Labour Party, sei nicht klar in ihrer Haltung gegenüber einem neuen Referendum. Jeremy Cliffe hält es im Bereich des Möglichen, dass ein neues Referendum kommt, "aber die Zeit wird jetzt wirklich knapp".
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