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Auch Menschen im Alter von 20-30 lassen sich zum Beispiel die Lippen aufspritzen. So wie Saskia, die dem Social-Media-Druck nachgegeben hat: Ein bedenklicher Trend, warnt ein Schönheitschirurg.

Die Lippen mit Hyaluron aufspritzen oder Botox injizieren lassen, um Falten zu glätten, sind Eingriffe, die in den sozialen Medien teilweise als "normal" angepriesen werden. Gerade Jüngere mit Anfang 20 fühlen sich davon wohl häufig angesprochen, obwohl sie noch so jung sind, dass sie keine Falten haben.

Saskia findet diesen Trend zu Eingriffen für ein vermeintlich schöneres Aussehen problematisch. Sie kennt diese Erfahrung, einen solchen Schönheitseingriff machen zu lassen.

"Ich habe mir mit 22 ganz klassisch die Lippen mit Hyaluron machen lassen."
Saskia sieht solche Eingriffe heute kritisch

Mitte der 2010er-Jahre "war das ein ganz großer Hype", erzählt Saskia. Alle hätten angefangen, auf die Lippen zu achten, dass sie gut aussehen – voll und groß. Genau das hat sich Saskia von der Hyaluron-Behandlung auch versprochen.

Hyaluron ist ein Stoff, den jeder Mensch in der Haut hat und der wie ein Feuchtigkeitsspeicher funktioniert. Dieser Stoff kann auch synthetisch hergestellt werden, um Gewebe von außen aufzufüllen. So wird die Haut glatter und straffer.

Schönheitsideale auf Social Media setzen unter Druck

Die meisten Frauen, denen Saskia damals gefolgt sei, hätten diesen Eingriff machen lassen. Um ebenfalls dieses Schönheitsideal zu erreichen, habe sie dann ihre Lippen mit Hyaluron aufspritzen lassen. Dabei hätte sie ihre Lippen eigentlich immer als ganz in Ordnung angesehen. Durch den Social-Media-Hype hätte sie dann aber angefangen, ihre Lippen kritisch zu betrachten und mit diesem Schönheitsideal zu vergleichen.

Auch einige ihrer Freundinnen hätten diesen Eingriff damals machen lassen, die ihr auch Tipps für die Behandlung gegeben haben.

"Das war relativ schnell wieder weg. Ein ernüchterndes Ergebnis."
Saskia hat sich Hyaluron in die Lippen spritzen lassen

In der Praxis haben sie sich für die teurere Spritzen-Variante entschieden. Das Spritzen sei ein bisschen unangenehm gewesen. "Wer schön sein will, muss leiden", hat sie sich damals dabei gedacht.

Das Ergebnis hat sie aber nicht nachhaltig überzeugt. Ein paar Tage nach dem Eingriff sahen ihre Lippen wohl voller aus, "aber dann war es relativ schnell wieder weg", erzählt sie.

Im Nachhinein fragt sie sich, ob sie diesen Eingriff für sich selbst gemacht hat oder eher, um einem Schönheitsideal zu entsprechen.

Frauen vergleichen sich mit Schönheitsidealen

Dahinter steckt für Saskia auch das Problem, dass wir mit einem bestimmten Schönheitsideal aufwachsen. Gerade Mädchen und Frauen würden sich an diesen Idealen messen, ihre Körper mit ihnen vergleichen und dann bestimmte Körpereigenschaften an sich als nicht schön bewerten.

Um dem Ideal zu entsprechen, würden sie sich dann behandeln lassen. Dabei streitet Saskia nicht ab, dass es durchaus Körpermerkmale gibt, die für die Person ein Problem sein können und unter denen sie leiden würden. In diesen Fällen hält sie Schönheitseingriffe dann auch für richtig.

Einfluss von Influencer*innen

Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Innofact beeinflusst das Schönheitsideal von Influencerinnen auf Social Media 70 Prozent der Frauen. Vor allem Frauen zwischen 16 und 39 Jahren fühlen sich durch Postings auf Instagram oder Tiktok-Videos bei ihrer Entscheidung zu Schönheitseingriffen beeinflusst.

Befragt wurden Frauen, die regelmäßig Influencer-Content auf Social Media konsumieren. Rund ein Drittel dieser Frauen hat zugegeben, durch Social-Media-Konsum zu einem Schönheitseingriff verleitet worden zu sein.

"Die Zunahme dieser Behandlungen ist dramatisch gestiegen."
Jan Pasler, plastischer Chirurg

Der Trend zu mehr Schönheitseingriffen kommt auch in den Arztpraxen an. Die Zahlen seien gerade bei Jüngeren mit Anfang 20 stark angestiegen, sagt Jan Pasler, plastischer Chirurg, Facharztprüfer und im Weiterbildungsausschuss für plastische und ästhetische Chirurgie.

Seriöse plastische Chirurgen und Chirurginnen seien auf lange Zeit ausgebucht. Starker Social-Media-Konsum würde gerade bei den Jüngeren den Wunsch nach Schönheitsbehandlungen hervorrufen.

"Käme man nicht ständig mit Social Media in Kontakt, würde man nicht auf die Idee kommen, solche Sachen zu machen. Dadurch, dass man ständig damit konfrontiert wird, wird etwas ins Gehirn gesetzt."
Jan Pasler, plastischer Chirurg

Faltenunterspritzung und Botox-Behandlung gehören beispielsweise typischerweise zur Anti-Aging-Medizin. Menschen, die sich im Laufe des Alterungsprozesses in ihrer Haut nicht mehr wohlfühlen, unterziehen sich dann diesen Behandlungen, erklärt Jan Pasler. Mittlerweile würden sich aber sehr viel Jüngere behandeln lassen, obwohl bei ihnen gar kein Grund dafür vorliege. Sie unterzögen sich aus Lifestyle-Gründen Behandlungen, um Schönheitsideale zu erreichen, die aber "nicht mehr realitätsentsprechend sind", sagt der Chirurg.

Personen aus der "eingebildeten Hässlichkeit" herausholen

Patienten und Patientinnen, bei denen alles in Ordnung sei, die nach ästhetischen Gesichtspunkten auch als hübsch wahrgenommen werden, schicke Jan Pasler auch wieder weg. "Wir schicken inzwischen ziemlich viele weg, muss ich ganz ehrlich gestehen", so der Chirurg. Diese Personen müsse man eigentlich vor solchen Eingriffen bewahren und sie aus der "eingebildeten Hässlichkeit" herausholen.

In seine Praxis würden Personen kommen und ihm Postings zeigen mit Bildern, die eindeutig nachbearbeitet seien und "mit der Realität nichts zu tun haben".

"Ich kann dann nur sagen: Können wir machen, aber nur digital am Bild mit Photoshop und Filtern, aber nicht in der Realität, weil das mit der Anatomie nicht vereinbar ist."
Jan Pasler, plastischer Chirurg

Aus Sicht von Jan Pasler würde auch kein seriöser plastischer Chirurg mit reißerischen Instagram- oder Tiktok-Auftritten werben. Dort seien eher Chirurg*innen zu finden, die auf das schnelle Geld aus seien. Gute Chirurg*innen finde man über Fachgesellschaften oder Bewertungsportale, erklärt Jan Pasler.

"Es wird gespritzt, was das Zeug hält, aber ohne Sinn und Verstand."
Jan Pasler, plastischer Chirurg

Aufgrund der großen Nachfrage schössen auch Ketten, die diese Behandlungen anbieten, wie Pilze aus dem Boden. So schnell könnte aber das Fachpersonal für diese Anbieter gar nicht ausgebildet werden. "Im Grunde genommen darf jeder, der spritzen darf, in solchen Instituten arbeiten", sagt Jan Pasler. Wenn aber das anatomische Wissen und die Erfahrung fehlten, könne es bei Fillern und Botox zu Risiken wie Erblinden, Gefäßverschluss, Absterben der Haut oder Nervenirritation kommen.

Risiken für die Gesundheit

Ein guter Arzt lasse sich auch daran erkennen, dass er nicht einfach alle Wünsche des Patienten oder Patientin erfülle, sondern die Person darüber aufkläre, was überhaupt möglich wäre und ob es sich dabei um eine Verbesserung oder am Ende sogar um eine Entstellung handeln würde. Im Anschluss sollte mit dem Patienten ein Behandlungskonzept erstellt werden.

Zur Aufklärung gehöre auch, dass beispielsweise nach dem Lippenaufspritzen die Lippenhaut in der Regel faltiger ist als vorher, wenn der Filler wieder abgebaut ist. Außerdem können beim Spritzen mit Hyaluron Verkalkungen oder Narben entstehen.

Vorherrschendes patriarchales Schönheitsideal

Das dominierende Schönheitsideal sei immer noch ein weißes, makelloses Gesicht, sagt Elisabeth Lechner. Das habe mit kolonialen Zusammenhängen zu tun, die unsere Gesellschaft immer noch prägen, erklärt die Kulturwissenschaftlerin. Außerdem muss es faltenfrei sein, darf keine Haare an der falschen Stelle haben, ist stark normiert. Dazu gehöre der neueste Trend: Buccal Fat Removal. Dabei werden Teile der Wangen herausgeschnitten.

"Wir haben es mit einem patriarchalen Schönheitsideal zu tun."
Elisabeth Lechner, Kulturwissenschaftlerin

Über diesen Drang, immer schön auszusehen zu jedem Zeitpunkt, werde gerade über Frauen und queere Menschen auch Kontrolle ausgeübt, sagt die Kulturwissenschaftlerin. Hinzu komme eine profitgetriebene Schönheitsindustrie, die großes Interesse daran habe, immer neu Unsicherheiten zu streuen, um so immer wieder neue Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.

"Kapitalismus hat auch ein ordentliches Wort mitzureden, wenn es um Schönheitsideale geht", sagt Elisabeth Lechner.

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Shownotes
Schönheitsideale
Botox und Hyaluron: Wenn wir uns schön spritzen wollen
vom 12. April 2023
Moderator: 
Utz Dräger
Gesprächspartnerin: 
Saskia hat sich mit 22 die Lippen aufspritzen lassen
Gesprächspartner: 
Jan Pasler, plastischer Chirurg, Facharztprüfer und im Weiterbildungsausschuss für plastische und ästhetische Chirurgie
Gesprächspartnerin: 
Elisabeth Lechner, Kulturwissenschaftlerin
  • Saskia hat sich früher mal die Lippen aufspritzen lassen
  • Jan Pasler, plastischer Chirurg, warnt vor Risiken bei Schönheits-Eingriffen
  • Umfrage
  • Elli kritisiert Schönheitsideale in unserer Gesellschaft