Die Infektionszahlen steigen, die Intensivstationen füllen sich wieder, das Impfen geht nicht richtig voran. Statt weiteren Öffnungen wird es wohl wieder Einschränkungen geben, so der Bioinformatiker Rolf Apweiler. Auch, weil ein echtes Konzept fehle: Die Politik habe die vergangenen Monate verpennt.
Das Ziel ist klar, sagt Rolf Apweiler. Es geht darum, Infizierte schnell zu finden, damit sie nicht weitere Personen anstecken. Damit letztlich, nicht mehr Menschen durch eine Covid-Erkrankung im Krankenhaus landen und möglicherweise sterben. Auch zügig zu impfen sei wichtig. "Aber das läuft nicht so doll auf dem Kontinent", sagt Rolf Apweiler.
Er ist Direktor des European Bioinformatics Institute des European Molecular Biology Laboratory in Cambridge und er gehört zu den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die die Bundesregierung in der Corona-Krise beraten.
Tests, Impfen, digitale Lösungen: Alles stockt
Aber es brauche nicht nur mehr Corona-Tests, vor allem Schnelltests. Die müssten durch eine verbesserte digitale Infrastruktur miteinander verknüpft werden.
Seine Forderungen sind alle nicht neu, das weiß auch Rolf Apweiler. Aber weiterhin hakt es bei der Umsetzung. Der Bioinformatiker kritisiert deshalb, dass die Politik das Jahr 2020 und vor allem Anfang des Jahres 2021 nicht genutzt hat, um zum Beispiel bessere digitale Lösungen aufzubauen.
"Das letzte Jahr wurde nicht genutzt. Insbesondere die letzten zwei Monate wurden schlicht und ergreifend verpennt."
Warum gibt es zum Beispiel in der Corona-Warn-App keine Funktion, um die Impfung gegen Corona nachzuweisen, fragt sich der Bioinformatiker. Oder warum ist es nicht längst möglich, dass Testresultate – eben auch von den Schnelltests – in der App gespeichert werden.
"Dann kann man nämlich wegkommen von dem PCR-Test nur als Stopp-Mechanismus", sagt Rolf Apweiler. Umgekehrt könnten negative Test-Ergebnisse genauso zum Go-Mechanismus werden: Die App kann helfen, damit Leute sicher einkaufen oder ins Restaurants gehen können. Ebenso zur Uni oder an die Schule.
Steigende Infektionszahlen, erneut Restriktionen
Doch weil vieles eben nicht umgesetzt wurde, sieht auch der Bioinformatiker die einzige Möglichkeit, um das Infektionsgeschehen wieder einzudämmen, in neuen Restriktionen. Das heißt: keine weiteren Lockerungen, sondern eher neue Maßnahmen.
"Aber bis dahin gibt es leider keine andere Maßnahme als die Holzhammer-Methode. Nämlich Restriktionen."
Denn die Inzidenz ist in der vergangenen Woche um 37 Prozent gestiegen, so Rolf Apweiler. Die Inzidenz zeigt, wie viele Neuinfektionen es innerhalb der vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohner gab.
"Dass die Inzidenz steigt, liegt nicht daran, das mehr getestet wurde", sagt Rolf Apweiler. Das zeige der Anteil der positiven Tests an den Tests insgesamt: Der sei gestiegen. "Auch die Zahl der Menschen in den Intensivstationen geht wieder hoch."
Die Ungeduld wächst
Hinzu kommt, dass die neue Variante des Corona-Virus nicht nur infektiöser ist, sagt Rolf Apweiler. "Wir wissen jetzt auch: Sie ist gefährlicher. Sie trifft mehr junge Leute. Sie führt zu schwereren Krankheitsverläufen und zu mehr Toten."
Dass die Leute trotzdem frustriert sind, nicht nur in Deutschland, auch in den Nachbarländer, kann der Wissenschaftler nachvollziehen. Die Leute vermissten ein Konzept.
"Die meisten Leute sind ungeduldig, weil sie sehen, dass immer nur der 'Holzhammer' rausgeholt wird. Aber wo ist das Konzept?"
Und es braucht ein wirklich langfristiges Konzept. "Solange nicht die ganze Welt geimpft ist, werden wir immer neue Stämme bekommen, die unter Umständen nicht von den Impfstoffen abgefangen werden können."
Genau deshalb braucht es ein klares Konzept, so Rolf Apweiler. Dazu gehört Digitalisierung, Tests, schnelle Verfolgung und Meldung an die Gesundheitsämter. "Das muss mal jetzt endlich angegangen werden. Und zwar bundesweit und europaweit."