Für die Ernte von Bio-Tomaten sollen Migranten ausgebeutet worden sein. Das ist das Ergebnis einer investigativen Recherche.

In einer Recherche hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) herausgefunden, dass Migranten in Südspanien unter unmenschlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen.

"Tausende von Menschen, die in Südspanien Tomaten anbauen, die wir kaufen, müssen unter erbärmlichsten Bedingungen leben und arbeiten.
Jan Wiese, Investigativ-Journalist vom Rundfunk Berlin-Brandenburg

Arbeitsschutz der Tomatenerntehelfer ausgehebelt

Das Team um den Investigativ-Journalisten Jan Wiese hat recherchiert, dass die Menschen gezwungen seien, 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Dabei würden allerdings nur 40 Stunden bezahlt, so Jan Wiese. Auf die Stunde heruntergerechnet ergibt sich damit ein Stundenlohn zwischen 3,50 Euro bis 4 Euro. Das entspricht knapp der Hälfte des Mindestlohns in Spanien.

Außerdem werde der Arbeitsschutz der Helferinnen und Helfern in Südspanien ausgehebelt. "Die Mitarbeitenden sind gezwungen, Pestizide ohne Schutzkleidung auszubringen. Oft gibt es keine Toiletten und Pausenräume. Jeder, der gegenüber den Chefs auf seine Rechte besteht, wird rausgeschmissen", so der Journalist.

Das alles führt auch zu unvorstellbaren Wohn- und Lebensbedingungen. Etwa 5000 Menschen sollen in Slums ohne Wasser und Strom wohnen: "Dort stehen Hütten aus Stöcken und Holzpaletten zusammengezimmert. Und das wird dann mit Plastikplanen behängt, die von den Treibhäusern übrig bleiben."

Schon in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte über menschenunwürdige Zustände bei Erntehelfern. Jan Wiese und sein Team haben Supermarktketten um Stellungnahmen gebeten. Diese erfolgten nur in schriftlicher Form – zu einem Interview vor der Kamera war niemand bereit.

"Uns wurde schriftlich geantwortet, dass die Supermärkte die aktuellen Zustände nicht kennen."
Jan Wiese, Investigativ-Journalist vom Rundfunk Berlin-Brandenburg

Das neue Lieferkettengesetz verpflichte die Supermärkte allerdings auch nicht dazu, auf die Arbeitsbedingungen zu schauen. Denn die "zentralen Maßnahmen", die das Lieferkettengesetz vorsieht, gälten nur für direkte Lieferanten großer Unternehmen. Die Landwirte vor Ort stehen erst an vierter oder fünfter Stelle der Lieferkette. Kurz: Das Gesetz lade ein bisschen zum Wegschauen oder Nichtwissen ein, so Jan Wiese.

Die Lieferkette bei Unternehmen zu überprüfen ist Aufgabe des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Im sächsischen Borna wurde eigens dafür eine neue Außenstelle eröffnet.

57 Beamten beginnen dort mit ihrer Arbeit, bei der sie etwa 1300 Unternehmen beobachten sollen, ob diese die Vorgaben des Gesetzes umsetzen. Da alles etwas Zeit benötigt, bis sich Abläufe einspielen, rechnet Jan Wiese damit, dass erst Anfang kommenden Jahres Ergebnisse vorliegen. Auf Nachfrage habe die Behörde allerdings auch geantwortet, Unternehmen nicht zu stark belasten zu wollen, um Nachteile auf dem Weltmarkt zu vermeiden.

Was wir beim Einkauf tun können

Als Käufer*in können wir etwas gegen die Missstände bei der Tomatenernte tun, indem wir im Supermarkt auf das Fairtrade-Siegel bei Produkten achten. Eine andere Möglichkeit: in kleinen Läden kaufen, die Direktbeziehungen zu den Lieferanten pflegen. Klar ist aber auch – das sind Lösungen, die nur für Kundinnen und Kunden infrage kommen, die mehr für Tomaten zahlen können und wollen.

Shownotes
Hungerlohn bei Biogemüse
Ausbeutung von Erntehelfern in Spanien
vom 23. Februar 2023
Moderation: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Jan Wiese, Investigativ-Journalist vom Rundfunk Berlin-Brandenburg