Mit der eigenen Bindungsangst kennt Paul Jacobi sich inzwischen aus. Was Bindungsangst mit Bindungstypen zu tun hat, verraten uns die Psychologen Anna Schwertner und Omer Schonfeld. Sie erklären, inwiefern solche Kategorien helfen, unsere Beziehungen besser zu verstehen.
Wir brauchen Milch. Für die einen ist es ein simpler Satz, für Paul hat er damals eine Fast-Beziehung mit einer, wie er sagt, wirklich tollen Frau ins Wanken gebracht.
Bindungsangst: Weglaufen, obwohl man verliebt ist
Dabei hatte es alles so gut angefangen, und es ging richtig schnell. Nach knapp einer Woche war er quasi bei ihr eingezogen. Doch erst der Milch-Satz verdeutlichte ihm, dass er wohl dabei war, sich auf eine Beziehung einzulassen. Und diese Erkenntnis löste bei Paul Angst aus.
Dieses Gefühl kannte er bereits. Eigentlich sei es schon immer so gewesen, sagt er: kennenlernen, gut finden und aus dem Staub machen, bevor es ernst wurde. Irgendwann wollte er nicht mehr weglaufen. Und stellte sich seiner Angst.
"Es geht darum, sich zu fragen, wo die Angst eigentlich herkommt, ob sie wirklich mit dieser Frau zu tun hat. Und ob sie wirklich berechtigt ist."
Er machte eine Therapie. Dort erkannte er, dass es mit Rückschlägen und Misserfolgen nicht umgehen konnte. Die Angst war eine Art präventive Maßnahme für ihn, einem Scheitern der Beziehung vorzubeugen.
Bindungsstile können helfen, die eigenen Beziehungsmuster zu verstehen
Bindungsangst, der Begriff ist inzwischen im Mainstream angekommen. In der Psychologie geht man davon aus, dass es sich dabei um einen sogenannten Bindungstyp handelt, einen von vieren, erklären Anna und Omer.
Bindungstypen
Psychologin Anna und Psychotherapeut Omer zählen vier Bindungstypen auf:
- Sicherer Bindungstyp: Diese Menschen haben in der Kindheit die Erfahrung gemacht, dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wurde, sie verspüren Urvertrauen, können Menschen und damit Partnern und Partnerinnen vertrauen. Sie können sich auf Menschen einlassen, sich aber auch trennen, wenn ein Mensch ihnen nicht (mehr) guttut.
- Unsicher vermeidender Bindungstyp: Menschen dieses Typs haben Bindungsangst und Angst vor Vereinnahmung, wollen ihre Unabhängig behalten, können sich schlecht auf Menschen einlassen,
verursachen Streitereien, um eine Person auf Distanz zu halten, sind auf emotionalen oder physischen Abstand in Beziehungen aus. - Unsicher ambivalenter Bindungstyp: Menschen, die zu diesem Typ gehören, haben oft Verlustangst, werden schnell eifersüchtig, klammern, fühlen sich schnell emotional abhängig, idealisieren Date oder Partner*in, haben häufig einen geringen Selbstwert, stellen eigene Grenzen zurück, tun alles, damit es nicht zu einer Trennung kommt.
- Desorganisierter Bindungstyp: Menschen dieses Typs zeigen eine Mischung von Merkmalen aus unsicher ambivalenten und unsicher vermeidenden Bindungstyp, zeigen widersprüchliches Verhalten, zum Beispiel sind sie mal sehr anhaftend, dann wieder distanziert oder mal aggressiv und dann wieder liebevoll. Sie verhalten sich unvorhersehbar, haben starke Emotionen und haben oft Traumatisches in der Kindheit erlebt.
Ausschlaggebend für die Entwicklung eines Bindungstyps sind laut dem Psychologenpaar Erfahrungen in der Kindheit. Und die können komplex sein.
So gehe es nicht nur darum, dass die Eltern grundsätzlich liebevoll oder nicht liebevoll gewesen seien, erklärt Anna. Denn auch in einer vermeintlich glücklichen Kindheit könne es beispielsweise Verlusterfahrungen oder tiefe Verunsicherungen geben. Und die könne Spuren hinterlassen, die sich später in Beziehungen zeigen – sei es in der Partnerschaft, in Freundschaften oder im Job.
Wege zum gesünderen Umgang mit Beziehungen
Alles in allem seien die Bindungstypen aber nicht starr, erklärt Omer. Zwar handele es sich um festgelegte Kategorien, die man sich aber eher wie eine Skala vorstellen sollte, auf der man sich bewegen kann.
"Der Bindungsstil kann man verändern, indem man zum Beispiel neue Erfahrungen in einer Beziehung macht, indem man eine Therapie macht und an sich und den eigenen Bindungsmustern arbeitet."
Anna und Omer behandeln dysfunktionale Beziehungsmuster, indem sie mit ihren Klient*innen auf die Kindheit schauen. Auch Paul hat sich in seiner Therapie mit seiner Kindheit auseinandergesetzt. Heute, sagt er, habe sich seine Einstellung zu Beziehungen um 180 Grad gewandelt. Allerdings, sagt er auch, dass er wohl immer ein nachdenklicher, ängstlicher Typ bleiben werde.
"Neben der Angst gibt es auch die schönen Gefühle und Momente. Ihnen, der anderen Person und der Liebe ist man es schuldig zu gucken, ob es nicht doch funktionieren kann."
Wenn ihn die Angstgedanken überkommen, schreibt er sie inzwischen auf und damit, wie er sagt, raus aus dem Kopf. Und er nutzt sie für seine Musik. Darin verarbeitet er auch die Beziehung zu jener Frau, die ihn damals zwar nicht dazu brachte, Milch mitzubringen, aber sich seiner Beziehungsangst zu stellen.
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- Paul Jacobi, hat sich mit seiner Bindungsangst auseinandergesetzt
- Anna Schwertner, Psychologin und Psychotherapeut Omer Schonfeld