Der neue Bundestag ist etwas jünger und auch weiblicher als der letzte. Aber schaut man sich die beruflichen und sozialen Hintergründe der Abgeordneten an, dann geht es wenig divers zu. Ein Trend, der eher zunimmt.
Auch im neuen Bundestag sitzen vor allem Rechtsanwälte, Ärztinnen, Steuerberater und Politikwissenschaftlerinnen. "Das sind mit Abstand die größten Gruppen", sagt unser Reporter Gregor Lischka, "und dann kommt lange nichts".
"Die Zusammensetzung des deutschen Bundestags ist stark selektiv - und nicht wirklich repräsentativ."
Im Parlament vertritt ein*e Bundestagsabgeordnete*r zurzeit 110.000 Bundesbürgerinnen und -bürger, so der Elitenforscher Michael Hartmann. Ein Rechtsanwalt im Bundestag vertritt aber lediglich rund 1.500 Rechtsanwälte, gemessen an der Zahl aller Rechtsanwälte in Deutschland. Bei Ärztinnen und Lehrkräften ist das Verhältnis eins zu 30.000. "Bei den Pflegekräften ist einer auf 300.000“, sagt Michael Hartmann. "Und bei Arbeitern einer auf mehr als zwei Millionen."
Berufliche Repräsentation im Parlament
Das heißt, dass verschiedene Berufe im Bundestag kaum vertreten sind. Claudia Moll zum Beispiel ist Bundestagsabgeordnete und die einzige Altenpflegerin im Parlament. Sie hat bei der Bundestagswahl erneut ein Mandat erhalten.
Warum Berufe so ungleich im Bundestag repräsentiert sind, dafür sieht Claudia Moll verschiedene Gründe. Zum einen habe sie lange im Schichtdienst gearbeitet. Da passe ein politisches Engagement bei einer Partei nur schwer in den persönlichen Alltag. Zudem hat sie festgestellt, dass Rechtsanwälte oder Ärztinnen anders auftreten. "Die sind natürlich rhetorisch ganz anders drauf als ich", sagt Claudia Moll. "Oder die meinen, die können sich rhetorisch ganz anders ausdrücken."
"Ich habe immer Schichtdienst arbeiten müssen. Da konnte ich gar nicht so aktiv an diesen alten Strukturen teilnehmen."
Dass der Bundestag mit Blick auf Berufe nicht divers ist, ist ein Trend, der sich in den vergangenen Jahrzehnten eher verstärkt hat. Im ersten Bundestag hatten 45 Prozent der Abgeordneten studiert. Im aktuellen Parlament sind es 85 Prozent. Man muss aber auch ergänzen, dass mittlerweile im Durchschnitt mehr Menschen studieren.
Vertreten ist vor allem die obere Mittelschicht und Oberschicht
Aber es ist auch so, dass ein immer größerer Teil der Abgeordneten aus der oberen Mittelschicht und Oberschicht stammt, sagt Elitenforscher Michael Hartmann. Er findet, dass diese Abgeordneten von den Nöten der "normalen Bevölkerung" auch immer weniger mitbekommen. Das macht er zum Beispiel an steigenden Mieten in Ballungszentren fest. Seit mindestens zehn Jahren sei das ein Problem, aber es sei von der Politik lange nicht wahrgenommen worden.
"Die Probleme auf dem Wohnungssektor haben lange keine nennenswerte Rolle gespielt in der Politik. Weil diejenigen, die im Parlament sitzen, persönlich davon kaum betroffen waren."
Auch Claudia Moll findet, dass die Politik den Bezug zur Praxis verliere, wenn einzelne Berufe nicht repräsentiert werden und insgesamt vor allem Akademikerinnen und Akademiker im Parlament sitzen. Sie hingegen kenne die großen und aktuellen Probleme im Bereich der Altenpflege und will das auch einbringen.
"Jemand der bei einer Krankenkasse gearbeitet hat und in den Bundestag kommt, oder jemand der Politik studiert hat: Wie will der beurteilen, was in der Pflege passiert? Das kann der gar nicht."