Die Demonstrierenden in Belarus sind sich der Konsequenzen bewusst, wenn sie ihre Forderungen nicht durchsetzen, sagt die belarussische Journalistin Nasta Reznikava, alleine deswegen machen sie weiter. Große Hoffnung setzen sie dabei auf Streiks in großen Staatsbetrieben.
In Belarus gehen weiterhin zehntausende Menschen auf die Straßen: Sie fordern friedlich den Rücktritt von Präsident Alexander Lukaschenko.
Als Reaktion demonstriert der Machthaber vermeintliche Stärke: Während der Massenproteste am Sonntag (23.08.2020) in Minsk lässt er sich mit einer Kalaschnikow in der Hand und schutzsicherer Weste filmen. Zuvor hatte er ein "hartes Durchgreifen" angekündigt, sollten die Proteste nicht aufhören.
Das Video macht deutlich, mit welchen Mitteln der Langzeit-Präsident notfalls gegen die Demonstrierenden vorgehen möchte, um seine Macht zu behalten, erklärt die belarussische Journalistin Nasta Reznikava. Sie lebt in Minsk und arbeitet für den unabhängigen belarussischen Fernsehsender Belsat, der sein Programm aus Polen sendet.
Nasta Reznikava berichtet seit Beginn der Proteste über die Entwicklungen in Belarus und sagt: "Die Regierung Lukaschenkas* wollte die Menschen mit dem Video offensichtlich einschüchtern. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Viele fanden es sehr lustig." Auf die Demonstrierenden habe Lukaschenko wie ein verrückter Mann mit einer Kalaschnikow gewirkt.
Misshandlung und Folterung
Die Menschen werden also weiter protestieren, so ihre Einschätzung. Zumal sie ahnen würden, was ihnen drohen könne, sollten ihre Proteste nicht den geforderten Wandel im Land hervorbringen: Festnahmen, Kündigungen oder andere Strafen. Viele haben Angst, so Nasta Reznikava, andere fühlen sich solidarisch mit denjenigen, die von der Polizei festgenommen oder misshandelt wurden. Alleine deswegen protestieren sie weiter, sagt sie, damit ihre Anstrengungen am Ende nicht umsonst sind.
"Alle Menschen, die auf den Straßen sind, wissen, was passieren könnte, wenn sie nicht gewinnen: Dann müssen sie mit schweren Konsequenzen rechnen. Deswegen gehen sie alle weiterhin fast jeden Tag auf die Straßen."
Aus Nasta Reznikavas Sicht sind besonders die belarussischen Staatsbetriebe ein entscheidendes Druckmittel gegen den Präsidenten. Und ähnlich wie die Menschen auf den Straßen, protestieren auch viele Mitarbeitende großer staatlicher Unternehmen gegen Lukaschenko, indem sie ihre Arbeit niederlegen.
"Uchadi" – "Geh weg!"
So geschehen zum Beispiel während eines Besuchs des Präsidenten beim staatlichen Fahrzeughersteller MZKT in Minsk. Während hunderte Mitarbeiter vor dem Werk gestreikt haben, buhten einige Dutzend Beschäftigte den Präsidenten in der Fabrik aus.
Halten diese Streiks an, bleibe dem Machthaber keine Alternative, als sein Amt als Präsident niederzulegen, erklärt Nasta Reznikava. So zumindest die Hoffnung der zehntausenden Demonstrierenden.
Streik in Staatsbetrieben als Druckmittel gegen Lukaschenko
Hilfe von der EU oder anderen Staaten würden sie hingegen nicht erwarten. "Sie sagen: Wir, die Belarussen, sind diejenigen, die das 'Problem Lukaschenka' lösen müssen – nicht die EU, Russland oder die USA", so die Journalistin.
Bisher hält Lukaschenko an seiner Macht fest – Unterstützerkundgebungen mit mehreren tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern sollen ihm dabei helfen. Diese Gegendemonstrationen seien allerdings organisiert, so die Journalistin. Bei vielen der Teilnehmerinnen handele es sich um Mitarbeitende staatlicher Einrichtungen.
"Seit ungefähr einer Woche gibt es auch Demonstrationen, die für Lukaschenka sind, zu denen viele Menschen organisiert hingebracht werden."
Anhängerinnen und Anhänger des Machthabers gebe es unter ihnen aber auch. Ihr Hauptargument für Lukaschenkos Präsidentschaft: Er bewahre Belarus vor einem Krieg wie in der Ukraine, erzählt Nasta Reznikava. Die Journalistin hat hingegen den Eindruck, dass viele der Befürworter des Langzeit-Präsidenten nicht ausreichend über die Strukturen des belarussischen Staates informiert wären.
*Vielleicht ist euch aufgefallen, dass manchmal von "Lukaschenko" und manchmal von "Lukaschenka" die Rede ist. Die Variante mit dem "a" am Ende ist die belarussische Variante. Lukaschenko hingegen ist die russische Variante, die der Präsident auch selbst verwendet.