Wie viele Menschen sind während ihrer Flucht auf der Balkanroute gestorben? Und wie ist das passiert? Ein ARD-Team hat das zwei Jahre lang recherchiert. Die Journalistin Andrea Beer war eine davon, und sie hat Antworten – zumindest zum Teil.
So richtig weiß niemand, wie viele Menschen auf der Balkanroute gestorben sind. Das wird nicht systematisch erfasst, sagt die Journalistin Andrea Beer. Das mache die Suche sehr schwierig. Andrea Beer und ihre Kolleginnen und Kollegen des ARD-Studios Südosteuropa in Wien haben zwei Jahre lang recherchiert und Todesfälle von 2013 bis heute dokumentiert. Sicher scheint: Mindestens 170 Menschen aus zehn Ländern sind bisher auf der Balkanroute bei ihrer Flucht gestorben. Doch vermutlich sind es mehr.
"Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, denn wir gehen davon aus, dass viele Tote nicht bekannt sind, irgendwo verscharrt sind, namenlos beerdigt liegen, nie identifiziert werden."
Menschen kamen auf sehr unterschiedliche Weise ums Leben
Andrea Beer sagt, dass es viele verschiedene Todesursachen gibt: Manche Menschen sind erschossen worden. Andere sind in den Bergen erfroren oder in den Grenzflüssen ertrunken. Wieder andere sind auch in Schlepperautos gestorben oder von Zügen überrollt worden. Einige haben Suizid begangen. Hinzu kommen kranke Menschen, die gestorben sind, weil sie unzureichend versorgt wurden.
"Sie sind auf ganz unterschiedliche Weise ums Leben gekommen."
Eine Geschichte hat Andrea Beer besonders beschäftigt: die eines geflüchteten Syrers, der mittlerweile in Österreich wohnt. Er hat im November 2014 in Schlepperhand einen Mann sterben sehen. Eigentlich habe die Gruppe darauf gewartet, weiter nach Serbien zu kommen. Doch dann habe ein Mann Atemnot bekommen und sei gestorben. Die Schlepper hätten den toten Mann einfach verscharrt. Den geflüchteten Syrer beschäftigt das Erlebnis bis heute – er hat dem Rechercheteam erzählt, dass er für den toten Mann mehrere Stunden aus dem Koran gelesen habe.
"Der Mann hatte Atemnot, ist gestorben. Die Schlepper haben ihn dann einfach verscharrt."
Schwierige Recherche und viele Anlaufpunkte
Für die Recherche waren die Journalistinnen und Journalisten in mehreren Ländern unterwegs, unter anderem in Serbien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien oder Kroatien. Dort haben sie mit allen Menschen gesprochen, die etwas über gestorbene Flüchtlinge wissen könnten.
"Wir haben eigentlich mit allen geredet, die irgendwie etwas wissen konnten. "
Am Anfang der Recherche stand meistens ein Bericht oder eine Meldung aus einer lokalen Zeitung. Auf dieser Grundlage haben die Journalistinnen und Journalisten dann nachgefragt: bei Behörden, bei der Gerichtsmedizin, der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Meistens war das nicht so ergiebig, sagt Andrea Beer. Anders war das bei den Einheimischen. Hier bekam das Team öfters Informationen.
Wichtige Informationsgeber seien auch die muslimische Gemeinden in der Region gewesen. Sofern es einen Anhaltspunkt auf tote Flüchtlinge gab, konnten auch die Friedhofsmitarbeiter weiterhelfen. Manchmal haben die dem Rechercheteam sogar weitere Gräber gezeigt, erzählt Andrea Beer. So konnte das Team nach und nach immer mehr Todesfälle dokumentieren.
Mehr zur Recherche des ARD-Studios Südosteuropa gibt es hier: #balkantote.
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