Die Massen jubeln einem Politiker zu, sein Porträt hängt überall und seine Herrschaft ist mindestens autoritär, vielleicht sogar totalitär – klare Anzeichen, dass es sich um einen Führerkult handelt. Wie diese Kulte funktionieren, erklärt Daniel Leese in seinem Vortrag.
Der moderne Führerkult ist in der Geschichte der Massendiktaturen des 20. Jahrhunderts allgegenwärtig. Wir denken sofort an Mussolini, Hitler und Stalin, aber Führerkulte sind ein globales Phänomen. Und es gibt sie bis heute.
"Exzessive Huldigungen politischer Führer, die wir auf den ersten Blick als irrational kennzeichnen würden, können einen rationalen Hintergrund haben."
Die gottgleiche Glorifizierung eines modernen politischen Führers vermischt einen politischen Personenfokus mit quasi-religiösen Elementen, erklärt Daniel Leese. Er ist Sinologe an der Universität Freiburg. Er forscht zur chinesischen Geschichte und Politik, unter anderem zum Personenkult um Mao Zedong.
Personenkulte um politische Führer gibt es vor allem in Krisenzeiten, erklärt der Sinologe. Die Personalisierung werde damit gerechtfertigt, dass der Kult zur Überwindung der Krise diene. Die Person wird dabei zum Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart, so Leese.
"In diesen Führerfiguren kanalisieren sich große historische Prozesse, so dass die Führer als Agenten der Geschichte agieren."
Alle Personenkulte um politische Führer sind männlich konnotiert. Dabei gibt es jedoch eine große Bandbreite. Während Mussolini eine klassische Männlichkeit verkörpert, übernahm Stalin eher eine Art Vaterrolle, sagt Daniel Leese. Bei Mao hingegen habe es eine fast schon asexualisierte Form der Darstellung gegeben.
Und die Herrschaftsform des Personenkultes schließe keinesfalls Frauen aus. Das könne man an den Kulten um die Ehefrauen großer politischer Herrscher wie Eva Perón, Elena Ceaușescu und Maos Frau Jiang Qing sehen, erklärt der Sinologe.
"Der mit maximaler Intensität propagierte Kult nützt nichts, wenn die gelebte Realität und die Kultbotschaften zu weit auseinandergehen."
In seinem Vortrag gibt Daniel Leese einen Überblick über die Forschung zu Führerkulten. Da geht es beispielsweise darum, wie Führerkulte als Machtinstrumente genutzt werden und welche psychologischen Ansätze es gibt, um Führerkulte zu beschreiben.
Daniel Leese hat seinen Vortrag "Moderne Führerkulte als Forschungsgegenstand" auf der Tagung "Starke Männer – Figuren disruptiver Politik in transnationaler Perspektive" gehalten. Organisiert wurde die Tagung vom Sonderforschungsbereich "Helden - Heroisierungen - Heroismen" an der Universität Freiburg.
Korrektur: In einer früheren Version des Audios war von Sebastian Kurz als aktuelles Beispiel eines autoritären Herrschers in Österreich die Rede. Sebastian Kurz ist seit Oktober 2021 nicht mehr im Amt. Wir haben die Passage aus dem Audio entfernt.