Wenn es um die Autismus-Therapie ABA geht, prallen unterschiedliche Meinungen aufeinander. Die einen nennen ABA gefährlich. Andere sagen, für viele Kinder sei die Methode sehr hilfreich. Ein Überblick.
Auf das Interview mit Marlies Hübner, selbst Autistin, haben wir viele Reaktionen bekommen. Sie kritisierte die sogenannte Applied Behavior Analysis, kurz ABA als "eine gefährliche Sache". Die einen pflichteten ihr bei, andere sagten, dieser Blick sei zu kurz gefasst. Wir haben das zum Anlass genommen, die wichtigsten Fragen rund um ABA zu beantworten:
Worum geht es in dem Streit?
Eigentlich geht es in der Auseinandersetzung um zwei Fragen. Einmal wird ganz konkret die Methode kritisiert. Die moderne Variante der Therapieform ABA wendet Belohnungseffekte an, um das Verhalten von autistischen Kindern zu beeinflussen. Für Marlis Hübner und andere Kritiker ist dies eine manipulative und überfordernde Praxis - für Eltern und Kinder. Rücksicht auf die Persönlichkeit werde nicht genommen, so die Kritik.
"Das weiße Blatt wird dann nach Wunsch neu beschrieben. Verkürzt heißt das: Autistische Verhaltensweisen werden durch Drill abtrainiert"
Und das führt direkt zur zweiten, ganz grundsätzlichen Frage, die auch bei uns auf Facebook diskutiert wurde: Soll man überhaupt versuchen, autistische Kinder zu verändern, sie quasi an die Gesellschaft anzupassen?
Knackpunkt bei dem Thema ist, dass es ein sehr breites autistisches Spektrum gibt. Es gibt etwa Menschen, bei denen Autismus, beispielsweise das "Asperger Syndrom" erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wird. Genauso gibt es Kinder, bei denen Autismus so stark ausgeprägt ist, dass sie extreme Schwierigkeiten mit der Kommunikation haben oder sich sogar selbst verletzten. "Das ist für die Eltern eine riesige Belastung", sagt DRadio-Wissen-Reporter Volkart Wildermuth, der mit Eltern und Therapeuten gesprochen hat.
Für viele Eltern, beschreibt Volkarth Wildermuth, sind Therapien eine wichtige Hilfe für ihre Kinder. Letztlich geht es darum, dem Kind ein selbstständigeres Leben zu ermöglichen, einfachere Kontakte zu Gleichaltrigen, den Besuch einer Schule.
Was genau ist ABA?
Unter dem Label ABA summieren sich ähnliche Ansätze, nach denen autistische Kinder behandelt werden. Dabei geht es um Kinder, die Auffälligkeiten in drei Bereichen zeigen: Probleme in der Kommunikation, im Sozialverhalten sowie eine Neigung zu ständigen Wiederholungen. Das gibt es natürlich in Ausprägungen, die unterschiedlich belastend sein können. Die Therapie kann schon ab einem Alter von zwei Jahren beginnen.
Das dahinterliegende Konzept stammt aus dem Behaviorismus, der quasi davon ausgeht, dass ein Kind beliebig formbar sei. So führte die ersten Behandlungen nach ABA der Psychologe Ole Ivar Lovaas in den 60er Jahren durch und wendete, um bestimmtes Verhalten zu fördern, neben Belohnungen auch Bestrafungen an - darunter auch leichte Elektroschocks. Zwar gilt das heute als überholt, aber einige Methoden des Behaviourismus werden weiter in der Verhaltenstherapie angewendet.
Wie läuft die Therapie heute ab?
Am Anfang der heutigen ABA-Therapie wird das Ziel in ganz viele kleine Schritte runtergebrochen, die das Kind relativ leicht bewältigen kann. Dies soll Frustrationen vermeiden und schnelle Erfolgserlebnisse bringen. Die moderne Variante der ABA wendet Belohnungen an, um das Verhalten von autistischen Kindern zu beeinflussen, etwa einen Keks oder Zeit mit dem Lieblingsspielzeug. Vom Grundprinzip so, wie Eltern ihre Kinder bestärken.
Bei Kindern aus dem autistischen Bereich geht das in der Regel langsamer und braucht es viele Wiederholungen. Das heißt, spezialisierte Therapeuten und auch die Eltern selbst arbeiten zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche mit dem Kind.
Welche Ergebnisse gibt es zum Therapie-Erfolg?
Zu ABA gibt es bereits viele wissenschaftliche Untersuchungen. So geht eine Studienauswertung, unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit, kam 2009 zu dem Schluss, dass zwar noch viele Daten fehlen, dass nach den bisherigen Studien "Verbesserungen in kognitiven und funktionalen Bereichen erreicht werden können". Auch sollen bald aktuelle Ergebnisse aus einem Pilotprojekt am Bremer Institut für Autismusforschung vorliegen.
Neue Ergebnisse eröffnen auch andere Wege: Vielleicht müssen die verhaltenstherapeutischen Ansätze gar nicht so intensiv angewandt werden wie bisher. An der Universität Frankfurt konnte Professorin Christine Freitag schon mit zwei Stunden in der Woche deutliche Effekte nachweisen.
Und wie geht es in der Diskussion weiter?
Unterschiedliche Verbände und Elterngruppen haben sich bereits zu dem Thema geäußert. Es gibt lokale Anträge, die fordern ABA nicht mehr finanziell zu fördern. Auch der Bundesverband Autismus hat eine umfassende Stellungnahme zum Thema abgegeben. Es gibt gleich mehrere sensible Punkte, die in der Diskussion zusammenkommen, weshalb der Streit immer wieder emotional weitergetragen wird: Wie weit dürfen und wie weit müssen Eltern ihr Kind unterstützen? Zu welchem Preis wird das Verhalten verändert? Und nicht zuletzt geht es wieder um die Frage: Wie darf ein Mensch in unserer Gesellschaft sein?
Eine objektive Antwort nach richtig und falsch gibt es nicht. Kinder mit Autismus sind sehr verschieden, deshalb können unterschiedliche Wege zu ihrer Unterstützung sinnvoll sein. Zudem gibt es unterschiedliche Anbieter von ABA, die die Methode noch einmal anders umsetzen. Ein Richtung aus der Diskussion lautet aber auch: Es gehe um ein Annehmen der Kinder, sie sollten bei ihrer eigenen Entwicklung unterstützt, aber eben nicht wirklich verändert werden. Dies sollte möglich sein, ohne dass die Eltern oder die Kinder verurteilt werden.