Feinstaub, Glyphosat, Impfungen - alle für Autismus verantwortlich. Falsch! Die Krankheit werde als Schreckgespenst missbraucht, sagt eine Betroffene. Tatsächlich sind die Ursachen genetisch bedingt, erklärt ein Mediziner.

Mela Eckenfels ist an Autismus erkrankt und schreibt auf ihrem Blog über die Krankheit. Am 8. September hat der Gesundheitspolitiker und Epidemiologe Karl Lauterbauch eine Meldung geteilt, dass es einen Zusammenhang zwischen Feinstaub und Autismus gebe. Für Mela ist das ein Skandal und hat deshalb zurückgetwittert und dem SPD-Politiker in einer Mail geschrieben.

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Immer wieder werde die Krankheit mit vermeintlichen Ursachen in Zusammenhang gebracht, um bestimmte Ziele zu verfolgen. Autismus werde häufig unzutreffend mit Umweltgiften in Verbindung gebracht. "Derartige Fehlinformationen sind nicht ohne Folgen", schreibt Mela in ihrem Blog. "Sie sind Wasser auf den Mühlen von Impfgegnern, Pseudowissenschaftlern, Quacksalbern und liefern die Vorlage für propagandistische Machwerke".

Autismus-Erkrankung für andere Zwecke missbrauchen

Dass Karl Lauterbach die Evidenz der Studie nicht geprüft hat, ärgert Mela. Es entsteht rein statistisch ein Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und erhöhter Anzahl an Autismus-Erkrankten. Ob dies tatsächlich die Ursache der Krankheit ist, wird nicht nachgewiesen. Nach Ansicht Melas seien anscheinend die Opfer durch Feinstaubbelastung nicht genug, sondern die Gesundheitsbelastung müsse dadurch verstärkt werde, dass Feinstaub auch noch Autismus hervorrufe. Für Menschen, die an Autismus erkrankt seien, werde dadurch ein Zusammenhang geschaffen, der der richtigen Einordnung der Krankheit schade.

"Mit der Angst vor Autismus wird Marketing gemacht."
Mela Eckenfels bloggt über ihre Krankheit Autismus

Für den Zusammenhang zwischen Autismus und Glyphosat ist der Naturschutzverbund Nabu verantwortlich, sagt Mela. In ihrem Blog und im Gespräch erwähnt Mela noch andere Beispiele, die in den Bereich Verschwörungsmythen fallen. Davon profitiert zum Beispiel der MMS-Erfinder Jim Humble, der die Substanz "Miracle Mineral Supplement" (MMS) als Wundermittel unter anderem gegen Autismus vertreibt. Das Mittel ist nachweislich gesundheitsschädlich.

"Das alles weist uns die Rolle zu: Wir sind alle bemitleidenswerte Wesen."
Mela Eckenfels bloggt über ihre Krankheit Autismus

Diese Zusammenhänge würden dazu führen, dass an Autismus-Spektrum-Störungen erkrankte Menschen in eine bestimmte Rolle gedrängt werden, nämlich die der bemitleidenswerten Kranken. Würden sich aber die Betroffenen nicht wie erwartet verhalten, so schlage ihnen Aggression entgegen, sagt Mela. Diese Fremdbestimmung ärgert sie, denn die Leute würden sich nicht dafür interessieren, wie es ihnen wirklich geht.

"Wir werden zu einem Objekt gemacht, das Angst macht."
Mela Eckenfels bloggt über ihre Krankheit Autismus

Autismus-Spektrum-Störungen gehören zu den am stärksten genetisch bedingten Krankheiten im Neurologie- und Psychatriebereich, sagt Nils Brose. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen und beschäftigt sich dort mit der Entwicklung von Nervenzellen.

Zwillingsstudien belegen genetische Ursachen

Abzulesen sind die genetischen Ursachen an Zwillingsstudien. Wenn einer von eineiigen Zwillingen an Autismus erkrankt ist, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite ebenfalls betroffen ist, bei 80 Prozent, sagt Nils Brose. Das sei ein extrem hoher Wert, viel höher als beispielsweise bei Schizophrenie oder Depression.

Zusätzlich belegen Fälle, in denen über Generationen nachgewiesen werden konnte, dass eine einzige Gen-Variante zu der Erkrankung führen kann, die hohe Evidenz der genetischen Ursache bei Autismus-Spektrum-Störungen.

"Inzwischen gibt etwas 100 Gene, die nachgewiesenermaßen an Autismus-Spektrum-Erkrankungen beteiligt sind."
Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen

Wenn die Krankheit zu 80 Prozent genetisch bedingt sei, dann gebe es eben auch eine 20-prozentige Wahrscheinlichkeit, dem Schicksal zu entgehen.

Umwelteinflüsse spielen eine untergeordnete Rolle

Dass zusätzlich Umwelteinflüsse eine Rolle spielen, könne man auch in den Zwillingsstudien ablesen, erklärt Nils Brose. Die Genetik spiele aber die größere. Beispielsweise könnten solche Einflüsse während der Schwangerschaft eingenommene Pharmaka sein, die zu einer Erkrankung des Autismus-Spektrums und des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) führen. Aber auch Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt können eine Ursache sein.

Die Masern-Mumms-Röteln-Impfung, die von Eltern und Impfgegnern als möglicher Auslöser für eine Autismus-Spektrum-Erkrankung propagiert wurde, hat sich als völlig falsch herausgestellt. Die Aussagen basierten auf einer zum Teil gefälschten Studie, sagt Nils Brose und nennt noch weitere Beispiele aus dem Bereich Verschwörungsglaube.

"Es gab jahrzehntelang diese aus der Psychoanalyse stammende Idee, dass Gefühlskälte der Mütter eine Rolle beim Auslösen von Autismus gespielt haben kann. Das ist auch mit umfangreichen Studien widerlegt."
Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen

Besonders betont Nils Brose die Annahme, die aus der Psychoanalyse stamme, dass die Gefühlskälte von Müttern die Autismus-Spektrum-Erkrankung hervorrufen könne. "Eine sehr unbarmherzige Annahme gerade gegenüber den Eltern, die sich schuldig gefühlt haben", sagt der Mediziner. Umfangreiche Studien haben diese Annahme widerlegt.

Umwelteinflüsse als Ursache schwer nachweisebar

Der Nachweis, dass Umweltgifte wie Glyphosat oder Feinstaub zu der Erkrankung führen, sei sehr schwer zu führen, "weil man nie die Kontrolle über alle Varianten und Variablen hat", erklärt Nils Brose. In der Regel seien das rückblickende Studien, die allenfalls eine Korrelation nahe legen würden. "Es gibt aber keine Möglichkeiten, einen kausalen Zusammenhang herzustellen", sagt Nils Brose. Außerdem seien die Effekte, wenn man sich auf diese Studien einlassen würde, sehr klein. Der genetische Faktor bleibe das dominierende.

Shownotes
Verschwörungsmythen
Weder Feinstaub noch Glyphosat: Autismus hat überwiegend genetische Ursachen
vom 10. Oktober 2020
Moderatorin: 
Jenni Gärntner
Gesprächspartnerin: 
Mela Eckenfels bloggt über ihre Krankheit Autismus
Gesprächspartner: 
Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen