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Jule nerven Ausreden. Gleichzeitig ist sie selbst nicht frei davon. Und das stört sie auch und sie versucht, besser damit umzugehen. Sozialpsychologe Roland Deutsch erklärt, warum wir Ausreden benutzen und welche Menschen das besonders oft tun.

Ein Treffen ist schon lange geplant – und plötzlich sagt jemand ab. Und diese Absage klingt total nach einer Ausrede. Jule kann sowas gar nicht leiden und ärgert sich richtig darüber. Sie weiß aber, dass sie selbst in bestimmten Situationen auch Ausreden verwendet.

Wenn in einer Gruppe Leute absagen, dann hängt sie sich schon mal mit dran: "Das ist immer der leichteste Weg. Wenn jemand auch schon abgesagt hat, sagen: Bei mir ist heute ähnlich. Oder: Heute war voll der lange Tag, ich schaff's heute nicht mehr, ich fühl's nicht mehr. Das sind so Standardsätze."

"Ich starte in die Woche oft ganz gut rein ohne Ausreden. Und dann kommen sie irgendwann: vielleicht so fünf bis zehn Mal pro Woche."
Jule, hasst Ausreden, bemerkt sie aber immer wieder bei sich und ihrem Umfeld

Ausreden machen schlechtes Gewissen

Wenn Jule eine Ausrede benutzt hat, dann fühlt sie sich nicht gut. Sie hat ein schlechtes Gewissen, sagt sie: "Ich fühle mich total schlecht, weil ich das hätte besser planen können. Ich nehme mir manchmal vielleicht auch zu viel vor. Das ist so ein Punkt, wo ich was ändern muss." Jule stört es besonders, wenn sie kurzfristig abgesagt hat. Passiert das länger im Voraus, fühlt sie sich nicht ganz so schlecht.

Freunde konfrontieren Jule selten mit ihren Ausreden. Und auch sie selbst würde niemanden direkt darauf ansprechen – außer es handelt sich um "lustig gemeinte Ausreden", sagt Jule: "Zum Beispiel: Ich spiele Tennis. Wenn da gesagt wird: 'Boah, ich konnte den Ball nicht treffen, weil mich die Sonne geblendet hat.' Dann sage ich zum Beispiel: Wo ist denn deine Sonnenbrille?"

Sich Ausreden ausdenken erfordert Kreativität

Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt findet Ausreden gar nicht so schlimm. Er ist sogar ein großer Fan davon: "Ausreden sind ganz großartig. Sie trainieren uns in kognitiver Empathie oder in diesem Perspektivwechsel. Denn wer eine Ausrede benutzen kann, der weiß, was der andere Mensch vor ihm vielleicht für glaubhaft hält."

"Ich würde sogar sagen, dass Ausreden ganz großartig sind. Sie sind eine ungeheure kognitive Leistung, die unsere Intelligenz befördern."
Fritz Breithaupt, Literatur-, Kultur- und Kognitionswissenschaftler, forscht am Experimental Humanities Lab in Bloomington, Indiana

Menschen benutzen Ausreden, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlen, erklärt Fritz Breithaupt. Und auch, wenn Menschen sich in irgendeiner Weise in einer schwächeren Position befinden: "Wenn sie das Gefühl haben, sie stehen unter Selbstanklage oder unter dem Verdacht, dass sie eine nicht so gute Figur gemacht haben. In dem Moment kommen die Ausreden heraus."

Simple Ausreden funktionieren am besten

Oft seien es sogenannte Selbstausreden, die Menschen helfen: 'Ich hatte einen schlechten Tag. Oder: Es war so viel los.' Am besten funktionieren dem Kognitionswissenschaftler zufolge übrigens simple Ausreden. Wenn jemand sagt, dass sein Bus zu spät kam, sei das glaubwürdiger als wenn man eine ausgeschmückte Geschichte erzählt.

Ausreden sind nicht (immer) Lügen

Unterscheiden müssen wir außerdem zwischen Ausreden und Lügen, sagt Sozialpsychologe Roland Deutsch: "Das ist nicht das Gleiche. Das liegt daran, dass das Begriffsfeld sehr komplex ist. Da gibt's das Phänomen, dass wir uns selbst Ausreden erzählen, um uns besser zu fühlen. Oder das Phänomen, dass wir anderen Ausreden erzählen, damit sie besser über uns denken."

Allerdings beinhaltet der Begriff Ausrede auch Formen von Lüge. In der amerikanischen Forschung gibt es dem Sozialpsychologen zufolge dafür den Fachbegriff "Fraudulant Excuse" (übersetzt: Betrügerische Ausrede). Dabei werde ein falscher Tatbestand erfunden und vorgetragen. In dem Fall sei das dann auch eine ganz klare Lüge, so Roland Deutsch.

Mit Ausreden Konflikte vermeiden

Es gibt verschiedene Gründe für Ausreden. Der Sozialpsychologe sagt, dass man grundsätzlich unterscheiden muss, ob es sich um eine Ausrede gegenüber sich selbst oder anderen handelt.

"Ausreden sich selbst gegenüber haben häufig die Funktion, dass man unangenehme Sichten über sich selbst abmildert oder ganz vermeidet."
Roland Deutsch, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg

Wer gegenüber sich selbst eine Ausrede benutzt, der fühlt sich dadurch besser oder steigert seinen Selbstwert, so Roland Deutsch. Bei Ausreden anderen gegenüber kann es dem Sozialpsychologen zufolge sein, dass Menschen das Gesicht wahren oder eine peinliche Situation umschiffen wollen. Mit Ausreden können aber auch Konflikte vermieden werden.

Ausreden können Reputationsschaden auslösen

Roland Deutsch sagt, dass Ausreden sehr verbreitet sind. Und seiner Ansicht nach haben sie auch eine wichtige Funktion für die Gesellschaft. Milde Ausreden könnten etwa das Leben erleichtern. Der Sozialpsychologe spricht aber von einem zweischneidigen Schwert: "Wenn ich immer Ausreden dafür suche, warum mir bestimmte Dinge nicht gut gelingen, dann werde ich mich nicht in meinem Handeln verbessern." Und das könne ernsthafte Probleme mit sich bringen.

"Wenn ich immer wieder erzähle: Ich bin zu spät, weil die Straßenbahn ausgefallen ist oder beim Wecker war die Batterie leer, entsteht am Ende der Eindruck eines Menschen, der sein Leben nicht im Griff hat."
Roland Deutsch, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg

Es gibt durchaus Personengruppen, die häufiger zu Ausreden neigen. Als Beispiel nennt Roland Deutsch Menschen, die unter Leistungsangst leiden. Wenn jemand beispielsweise absichtlich vor einer wichtigen Klausur feiern geht, eine schlechte Note schreibt und sagt: Es lag daran, dass ich gefeiert habe. "Das nennt man Selbst-Handicapping. Das taucht häufiger bei Menschen auf, die sich vor Leistungsfeedback fürchten. Auch bei Menschen, die zu Perfektionismus neigen. Denen es also darauf ankommt, immer hundert Prozent Leistung zu geben."

Was die Geschlechter betrifft: Da gibt es Sozialpsychologen zufolge Studien, die zeigen, dass Männer häufiger als Frauen soziale Ausreden nutzen, "um sich aus der Affäre zu ziehen".

Ehrliche Kommunikation statt Ausreden

Jule wünscht sich für die Zukunft eine ehrliche und wertschätzende Kommunikation. Also, dass Leute zum Beispiel ganz klar benennen, wenn sie es zu einem Treffen nicht schaffen. Aber auch Jule selbst will dahin kommen und arbeitet an sich.

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Shownotes
Ausreden
Warum können wir nicht einfach Klartext reden?
vom 14. Februar 2025
Gesprächspartnerin: 
Jule, hasst Ausreden, bemerkt sie aber immer wieder bei sich und ihrem Umfeld
Gesprächspartner: 
Roland Deutsch, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg
Gesprächspartner: 
Fritz Breithaupt, Literatur-, Kultur- und Kognitionswissenschaftler, forscht am Experimental Humanities Lab in Bloomington, Indiana
Autor und Host: 
Przemek Żuk
Redaktion: 
Juliane Heffe, Friederike Seeger, Yevgeniya Shcherbakova, Lena Korbjun
Redaktion: 
Ralf Perz
Quellen: