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Issa al H. hat sich vermutlich selbst radikalisiert – also ohne persönliche Kommunikation mit IS-Personal. Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler erklärt, welche Rolle Algorithmen dabei spielen.

Wieso manche Menschen andere hassmotiviert umbringen, wird für Außenstehende immer unverständlich bleiben. Trotzdem gibt es ein berechtigtes Interesse daran, zu beobachten und zu beschreiben, woher der Hass bei Täterinnen und Tätern eigentlich kommt – so wie im Fall des Islamisten Issa H. Er hat am 23. August 2024 in Solingen drei Menschen mit einem Messer erstochen und acht weitere verletzt.

Radikalisierung verstehen

Zum einen möchten Opfer und Hinterbliebene genauer wissen, was zu der Tat geführt haben könnte. Zum anderen wollen die Sicherheitsbehörden und viele andere verhindern, dass sich solche Taten wiederholen.

"Das Video, das der IS veröffentlicht hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit von dem Attentäter selbst."
Hans-Jakob Schindler, Terrorismusexperte

Nach dem Messerangriff hat sich Issa al H. zu seiner Tat und zur Terrororganisation "Islamischer Staat" bekannt. In seinem Fall geht der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler von einer Selbstradikalisierung aus. "Es scheint nicht der Fall zu sein, dass es vor dem Attentat irgendwelche Konversationen zwischen dem Attentäter und irgendwelchen Leuten innerhalb des IS gab."

Propagandavideo des Täters

Bislang sei also nicht bekannt, dass Mitglieder des IS unmittelbar mit Issa al H. Kontakt aufgenommen haben. Die Organisation hat das Attentat dann nach einiger Zeit für sich reklamiert und mittels ihres Propagandakanals Amaq News ein Video veröffentlicht (unser Bild oben), das tatsächlich den Attentäter von Solingen zeigt, ist Hans-Jakob Schindler überzeugt. Er hält das Video für authentisch.

Klar ist für den Terrorismusexperten auch, dass der Attentäter Instruktionsvideos gesehen haben muss. So müsse er erfahren haben, wie eine Messerattacke am effektivsten durchzuführen ist: "Also Küchenmesser nehmen, auf den Hals zielen."

"Bei einer Selbstradikalisierung, mit der wir es wahrscheinlich in Solingen zu tun haben, ist es schon so, dass der Plattformalgorithmus das fast für den IS übernimmt."
Hans-Jakob Schindler, Terrorismusexperte

Die relativ lange Zeitspanne zwischen Attentat und Veröffentlichung des Bekennervideos sei wohl darauf zurückzuführen, dass der sogenannte "Islamische Staat" erst selbst habe prüfen müssen, ob der Attentäter zu ihnen gehört, sagt Hans-Jakob Schindler.

"Radikalisierung im Internet fängt nicht mit dem IS an. Wir haben in den Plattformen das gesamte Spektrum von moderat extremistischen bis terroristischen Inhalten."
Hans-Jakob Schindler, Terrorismusexperte

Selbstradikalisierung funktioniert laut dem Terrorexperten deswegen, weil sowohl extremistische als auch terroristische Inhalte auch auf großen Plattformen online auffindbar sind.

Algorithmus liefert immer radikalere Inhalte

Sobald entsprechendes Material angeschaut wird, würden Nutzende dann mittels Empfehlungen des automatischen Algorithmus mit weiterem Material versorgt. Propaganda und Nutzende vollzögen also quasi beide eine Radikalisierung.

"Das Material wird durch den automatischen Algorithmus immer exzessiver, immer gewalttätiger, immer radikaler – um das Interesse zu halten."
Hans-Jakob Schindler, Terrorismusexperte

Im Zusammenhang mit der angenommenen Selbstradikalisierung von Issa al H. sieht Hans-Jakob Schindler zwei Probleme:

  1. Die fehlende Verpflichtung der Plattformen, terroristische Inhalte zu erkennen und zu entfernen.
  2. Die Beschränkung deutscher Behörden bei der Beobachtung des Internets, sozialer Medien und allgemein der Telekommunikation, um maximalen Datenschutz zu gewährleisten.

Information: Unser Bild oben zeigt ein Standbild aus dem Video, das der IS-Propagandakanal Amaq News veröffentlicht hat. Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler hält es für authentisch, es zeige offenbar tatsächlich den Attentäter von Solingen.

Shownotes
Messerattentat
Attentäter von Solingen: Selbstradikalisierung vermutet
vom 27. August 2024
Moderation: 
Jenni Gärtner und Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Hans-Jakob Schindler, Terrorismusexperte