Wer hat in Deutschland wie viel Geld und wofür reicht das – für Essen, eine Wohnung, die groß genug ist, für alles, was es braucht, um nicht sozial ausgegrenzt zu sein? Dazu gibt es ständig neue Untersuchungen. Eine neue Studie der Bertelsmannstiftung sagt: Wir haben uns das Ganze bis jetzt schön gerechnet.
In der neuen Studie geht es vor allem um Familien, und die sind in Deutschland ärmer als gedacht. Das haben Wissenschaftler der Ruhr Uni Bochum für die Bertelsmannstiftung ausgerechnet.
"Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Ärmere Haushalte wurden bis jetzt systematisch reicher gerechnet, reichere Haushalte systematisch ärmer als sie sind."
Und die Schere zwischen Ärmeren und Reicheren ist zwischen 1992 und 2015 immer weiter auseinandergegangen. Laut der Studie gilt in Deutschland jedes achte Paar mit einem Kind als arm, schon jedes sechste mit zwei Kindern. Die Unterschiede zu früheren Berechnungen haben damit zu tun, dass die Bertelsmannstiftung eine andere Methode benutzt hat.
Die bislang gängige Art der Armutsberechnung, die zum Beispiel auch die Bundesregierung für ihren Armutsbericht nutzt, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD, entwickelt. Daran gab es schon häufiger Kritik. Als arm gelten danach Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.
Und um auch verschieden große Haushalte zu vergleichen, nutzt die OECD eine komplizierte Methode. Diese versucht, Folgendes zu berücksichtigen: Ein Single braucht einen Esstisch und eine Waschmaschine. Aber ein Paar braucht dann nicht zwei Esstische oder zwei Waschmaschinen - und deshalb auch nicht doppelt so viel Geld, um den Standard zu halten. Diese bisherige Methode haben die Bochumer Forscher für die neue Studie abgewandelt.
Die Forscher der Ruhr-Uni Bochum sagen, für Menschen, die sowieso schon wenig Geld zur Verfügung haben, ist es ungleich schwerer, ihren Standard zu halten, wenn sie ein Kind bekommen als für Menschen, die sowieso schon mehr Geld haben. Und dieser Punkt muss berücksichtigt werden.
Wenn zum Beispiel eine reichere Familie mit einem Kind noch eins dazu bekommt, muss die Familie wahrscheinlich nicht umziehen, weil sie schon genug Platz hat. Bei einer ärmeren Familie könnte das aber anders aussehen. Die Forscher sagen: Die zusätzlichen Ausgaben sind bei ärmeren Familien ungleich höher als bei reicheren und belasten sie auch ungleich mehr.
"Am krassesten ist der Unterschied bei Alleinerziehenden: Nach bisheriger Berechnung gelten 46 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Kind als arm, nach der neuen sind es 68 Prozent."
Die OECD-Skala stuft Alleinerziehende mit einem Kind als arm ein, wenn sie weniger als 1280 Euro im Monat haben. Die Bochumer Forscher sagen aber: Das muss schon früher ansetzen – also schon bei einem höheren Einkommen, ab 1.600 Euro im Monat.
Forscher fordern Teilhabegeld für alle Familien
Zum einen fordern die Autoren der Bertelsmannstudie, dass die Berechnungsmethode geändert wird. Da sagt aber die OECD: Die Diskussion um unsere Methode haben wir seit den 90ern. Sie sei aber müßig, weil wir die Methode bräuchten, um unterschiedliche Länder miteinander zu vergleichen.
Die Bertelsmannstiftung hat aber auch eine politische Forderung. Sie sagt, wir brauchen ein Teilhabegeld. Das soll jeder kriegen, der Kinder hat, aber es soll dann mit steigendem Einkommen weniger werden.