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Wie ist es möglich, nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der Bombardierung von Gaza in einen konstruktiven Dialog zu kommen? Ein Vortrag der Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema und des Erziehungswissenschaftlers Meron Mendel.

Der Nahostkonflikt löst auch bei uns in Deutschland viele Emotionen aus. Das war schon vor dem 7. Oktober so, hat sich seitdem aber sehr verstärkt. Woran liegt das? Und wie können wir besser darüber reden? Um diese Fragen geht es im Vortrag von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel. Saba-Nur Cheema ist Politikwissenschaftlerin und beschäftigt sich seit Jahren mit jüdisch-muslimischem Dialog. Meron Mendel ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und wuchs in Israel auf.

Lehren aus dem Holocaust oder aus dem Kolonialismus

Wenn es um den Nahen Osten geht, prallen zwei große Metaerzählungen aufeinander, erklären Cheema und Mendel in ihrem Vortrag. Die eine ist die Erzählung des Antisemitismus, den es seit mindestens zweitausend Jahren gibt und der im Holocaust seinen entsetzlichen Höhepunkt fand.

Die Vortragenden Meron Mendel und Saba-Nur Cheema
© Bernd Wannenmacher
Die Vortragenden Meron Mendel und Saba-Nur Cheema.

Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, als Rettung für Juden weltweit, ist nach dieser Erzählung ein emanzipatorisches Projekt, sagt Meron Mendel: Eine rassistisch verfolgte Minderheit hat es geschafft, in ihre Heimat zurückzukehren.

"Wir bestätigen uns selbst, wir sind diejenigen, die aus der Geschichte gelernt haben, und zwar aus zwei sehr unterschiedlichen Geschichten, der Geschichte des Holocaust und der Geschichte des Kolonialismus."
Meron Mendel, Erziehungswissenschaftler

Diesem Narrativ steht eine zweite Metaerzählung gegenüber, die des Kolonialismus: Schon vor 1948, aber spätestens seit der Gründung des Staates Israel, haben jüdische Siedler die Einheimischen in der Region immer mehr verdrängt. Israel wird in diesem Narrativ als ein westlicher Vorposten im Nahen Osten gesehen.

"Was brauchen wir, um den Konflikt von der Straße in konstruktive Räume zu bringen? Wir müssen das irgendwie hinkriegen."
Saba-Nur Cheema, Politikwissenschaftlerin

Vertreter*innen beider Narrative sind überzeugt, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Und so treffen diese beiden Erzählungen auch in Deutschland und an anderen Orten weltweit teilweise unversöhnlich aufeinander. Wie ist es möglich, fragen Cheema und Mendel, diesen Konflikt von der Straße weg in konstruktive Räume zu bekommen? In einem ersten Schritt schlagen sie dafür Regeln für den Dialog vor:

  • Das Existenzrecht des Staates Israel wird nicht in Frage gestellt, das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat wird auch nicht in Frage gestellt.
  • Die Gesamtverantwortung für den 100-jährigen Konflikt liegt nicht nur bei einer Partei.
  • Jegliche Form des Terrors ist abzulehnen.
  • Jegliche NS-Vergleiche verbieten sich, genauso wie jede Form von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit.

Saba-Nur Cheema ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie war Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises zu Muslimfeindlichkeit der Bundesregierung und forscht aktuell zu Antisemitismus unter Kindern. Meron Mendel ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Ihr gemeinsamer Vortrag hat den Titel "Nach dem 7. Oktober: Antisemitismus, Rassismus und die deutsche Debatte". Sie haben ihn am 29. Januar 2024 an der Freien Universität Berlin gehalten. Veranstalter war die Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung der Freien Universität Berlin. Verena Blechinger-Talcott Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin, hat die Einführungsworte gehalten.

Hinweis: Das Symbolfoto in einer früheren Version des Beitrags konnte suggerieren, dass es sich um ein Foto des Vortrags handelte. Es wurde jedoch bei einer Pressekonferenz der Student Coalition Berlin zu pro-palästinensischen Besetzungen von Universitäten aufgenommen und steht in keiner Verbindung zum Vortrag an der FU Berlin. Das Foto wurde deshalb ausgetauscht.

Shownotes
Antisemitismus und Dekolonialismus
Zwei Erzählungen prallen aufeinander
vom 12. Juli 2024
Moderation: 
Sibylle Salewski
Vortragende: 
Saba-Nur Cheema, Politikwissenschaftlerin, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Meron Mendel, Erziehungswissenschaftler, Frankfurt University of Applied Sciences
Einführungsworte: 
Verena Blechinger-Talcott, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin