Ein verstörendes Video geht gerade durchs Netz: In Berlin wird ein junger Israeli von einem anderen Mann angegriffen und beschimpft. Wir wollten wissen: Passiert so etwas öfter? Und haben antisemitische Straftaten zugenommen? Unsere Reporterin Rahel Klein hat für uns recherchiert.
Der 21-jährige Israeli, der angegriffen wurde, heißt Adam und hat das Ganze gefilmt. In dem Video ist zu sehen, wie der Täter mit einem Gürtel auf ihn einschlägt und auch immer wieder "Yahudi", also das arabische Wort für "Jude" ruft. Irgendwann zieht jemand den Angreifer weg.
Adam hat verschiedenen Medien Interviews zu dem Vorfall gegeben, unter anderem der Bildzeitung. Er erzählt, dass er mit einem Kumpel unterwegs war - beide trugen eine Kippa - und dann sind sie plötzlich und ohne Grund angegriffen worden. Im Interview mit der Deutschen Welle sagt Adam, dass er selber gar kein Jude sei. Er habe die Kippa von einem Freund in Israel geschenkt bekommen. Der Freund habe gesagt, für Juden sei es nicht sicher in Deutschland. Adam habe das Gegenteil beweisen wollen. Die Polizei sucht jetzt nach dem Mann, der auf dem Video zu sehen ist, und stuft die Tat als antisemitischen Angriff ein.
Wenig Zahlen und Statistiken zu Antisemitismus in Deutschland
Die Frage, ob antisemitische Übergriffe in letzter Zeit zugenommen haben, lässt sich nicht so einfach beantworten, weil es dazu sehr wenige Statistiken gibt.
Laut Kriminalitätsstatistik gab es im vergangenen Jahr durchschnittlich vier Angriffe pro Tag bundesweit. Das entspricht der Zahl aus dem Vorjahr. Allerdings sind das nur die Übergriffe, die auch wirklich angezeigt und als Straftat eingestuft werden. Die Dunkelziffer - da sind sich Forscher einig - liegt wahrscheinlich deutlich höher. Hinzu kommt: Beleidigungen im Alltag werden selten angezeigt.
Unsere Reporterin Rahel Klein hat mit verschiedenen Wissenschaftlern gesprochen, die sich einig sind, dass Antisemitismus in Deutschland ein massives Problem ist. Sie sagen aber auch: Das Problem gab es immer - aber durch solche Videos und die sozialen Netzwerke kommt es jetzt erst richtig ans Licht.
"Wenn es in Israel eskaliert, haben wir in Berlin - oder auch an anderen Orten in der Bundesrepublik - immer wieder solche antisemitischen Vorfälle, die sich auf diese Ereignisse beziehen."
Großangelegte Studien zu dieser Fragestellung gibt es bisher nicht. 2017 hatte aber ein unabhängiger Expertenkreis der Bundesregierung einen Bericht zum Thema "Antisemitismus" veröffentlicht. Dort ist die Rede von einem israelbezogenen Antisemitismus, der vor allem im Zuge des Nahostkonflikts eine weite Verbreitung erfährt. Dabei wird die jüdische Gemeinschaft meist stellvertretend für Israel gesehen.
In dem Bericht heißt es auch, dass antisemitische Einstellungen unter muslimisch sozialisierten Jugendlichen und Erwachsenen mit Migrationshintergrund höher sind als unter Nichtmuslimen. Die Herkunftsregion spielt dabei eine entscheidende Rolle. Besonders unter Migranten aus dem arabischen oder nordafrikanischen Kulturraum seien antisemitische Tendenzen verbreitet.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeo Antonio Stiftung, weiß, dass Ausschreitungen im Nahostkonflikt oft auch Wellen bis nach Deutschland schlagen, indem es dann auch hier Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und jüdischen Menschen gibt. Islamwissenschaftler bestätigen, dass der Nahostkonflikt einen großen Einfluss darauf hat, wie sehr Antisemitismus in muslimischen Milieus verbreitet ist.
Andere Studien zeigen übrigens, dass auch bei Deutschen antisemitische Einstellungen zunehmen, wenn es zwischen Israelis und Palästinensern wieder zu Auseinandersetzungen kommt.
"Wir haben so getan in Deutschland, als wäre mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus das Problem hinreichend bekannt und bearbeitet. Dem ist aber nicht so."
Damit es in Zukunft weniger antisemitische Übergriffe gibt - wie zum Beispiel den aktuellen Fall in Berlin - sei es wichtig, dass wir uns in Deutschland noch stärker mit diesem Thema auseinandersetzen.
In Moscheegemeinden, aber genauso auch in Schulen, in Jugendeinrichtungen, unter Pädagogen und Lehrpersonal. Annete Kahane von der Amadeo Antonio Stiftung sagt: "Wir haben so getan in Deutschland, als wäre mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus das Problem hinreichend bekannt und bearbeitet. Dem ist aber nicht so. Die Erinnerungskultur hilft nicht gegen neuen Antisemitismus. Wir müssen da eine neue Initiative lostreten."
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