Zahlen des BKA zeigen: Jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Tendenz steigend. Autor Fikri Anıl Altıntaş erklärt, wo Hass und Gewalt gegen Frauen ihren Ursprung haben – und wie wir gegensteuern.

Toxische Männlichkeit unter Teenagern und ein Mord an einer Mitschülerin: Die britische Serie "Adolescence" bewegt gerade viele. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Hass und Gewalt gegen Frauen alltäglich sind.

Denn Straftaten gegen Frauen und Mädchen steigen in allen Bereichen. Jeden zweiten Tag wird laut Bundeskriminalamt in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Tendenz: steigend.

"Akteure, die Frauenhass reproduzieren, treten noch aggressiver auf und bekommen noch mehr Sichtbarkeit"
Fikri Anıl Altıntaş, Autor

Manche sprechen deshalb schon seit einigen Jahren von einem antifeministischen Backlash. Der Autor und politische Bildner Fikri Anıl Altıntaş sagt: Das ist kein neues Phänomen. Frauenhass und Antifeminismus seien schon immer da gewesen.

Autor Fikri Anıl Altıntaş
© picture alliance / dpa | Horst Galuschka
Fikri Anıl Altıntaş ist ehrenamtlicher Botschafter der UN-Kampagne #HeForShe.

Aber beides zeige sich aggressiver, "weil auf Social Media die Akteure, die genau diesen Frauenhass reproduzieren, noch aggressiver auftreten und noch mehr Sichtbarkeit bekommen". Insbesondere online sind sogenannte Incel-Gruppen präsent, also "involuntary celibates" – Männer, die unfreiwillig enthaltsam leben.

Es habe international eine Diskursverschiebung stattgefunden: Dass Frauen an den Herd gehören, sei heute sagbarer, stellt Fikri Anıl Altıntaş fest. "Das fördert die Abwertung und Geringschätzung von Frauen. Und der Besitzanspruch auf weiblich gelesene Körpern steigt." Das Tradwife-Phänomen ist ein Beispiel dafür.

Einfache Antworten auf komplexe Fragen

Diese Ideen seien eng mit unseren gesellschaftlichen Machtstrukturen und kulturellen Normen verknüpft, ergänzt er. "Das ist die Ideologie und das Glaubenssystem unserer patriarchalen Strukturen, in denen wir leben."

Social Media ist dabei voll von toxischen Männlichkeitsvorbildern wie Andrew Tate. Ihm und seinem Bruder steht aktuell ein Prozess in Rumänien wegen Vergewaltigung, Sex mit einer Minderjährigen, Menschenhandel und Geldwäsche bevor.

Was tun gegen toxische Männlichkeit?

Auf X folgen dem "König toxischer Männlichkeit" über zehn Millionen Menschen. Doch warum ist Andrew Tate auf Social Media so erfolgreich? Fikri Anıl Altıntaş sieht dafür zwei Gründe.

Einerseits sei in Zeiten von gesellschaftlichen Krisen, etwa wirtschaftlichen und sozialen Problemen sowie politischer Unwägbarkeit, der Rückgriff auf traditionelle Männlichkeitsbilder größer. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung des Bundesfamilienministeriums. Einige tun das ganz bewusst, anderen scheint das eher ungewollt zu passieren.

Unsicherheit mache empfänglich für simple Botschaften

Der zweite Grund: Solche Influencer haben einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Eine feministische Antwort jedoch wäre, dass manche Prozesse lebenslang dauern. "Und das klingt zugegebenermaßen nicht so sexy, wie wenn ein Andrew Tate zum Beispiel sagt, die Welt gerät aus den Fugen, weil der Feminismus den Männern Macht wegnimmt."

Handlungsfähigkeit, Stabilität, Sicherheit und Kontrolle: Das vermitteln solche Influencer mit ihren simplen Botschaften. "Und dafür sind junge Männer empfänglich, die auf der Suche nach Orientierung sind", erläutert Autor Fikri Anıl Altıntaş.

"Wir müssen Räume schaffen und Ressourcen bereitstellen, um mit unsicheren Jungs ins Gespräch zu kommen."
Fikri Anıl Altıntaş, Autor

Statt Influencern sollte das aber eine "feministische Gegenöffentlichkeit" vermitteln, findet er. "Das würde bedeuten, dass wir Räume schaffen und Ressourcen bereitstellen müssen, um mit unsicheren Jungs ins Gespräch zu kommen."

Doch was können wir tun, wenn jemand in unserer Nähe etwas Frauenfeindliches oder Antifeministisches sagt? "Da braucht es Männer, die auch mal dagegen argumentieren und sagen: 'Hey, warum hast du das gerade gesagt?' oder 'Was führt eigentlich dazu, dass du genauso denkst?'"

Männer sollten sich neue Vorbilder suchen

Das könne auch ein Gespräch auslösen. Denn viele Männer hätten zu diesen Themen Gesprächsbedarf. Und Männer untereinander sprechen ganz anders, hat der Autor beobachtet. Er fordert deshalb: "Wir Männer müssen uns selber in die Pflicht nehmen und diesen Frauenhass als Männerproblem verstehen und auch mit anderen Männern zu Gewaltthemen ins Gespräch bringen."

Bislang setzen sich vor allem Frauen für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein. Männer sollten sich deshalb andere Vorbilder suchen, findet der Autor. "Männliche Vorbilder, die eine profeministische Haltung haben, die dafür sorgen können, dass sie nicht denken, dass nur Frauen das machen."

Denn auch Männer profitieren von Feminismus, betont Fikri Anıl Altıntaş. "Männer haben eine ganze Welt zu gewinnen, wenn wir uns auch feministisch verändern."

Shownotes
Antifeminismus
"Frauenhass zeigt sich gerade aggressiver"
vom 08. April 2025
Moderation: 
Lena Mempel
Gesprächspartner: 
Fikri Anıl Altıntaş