Anhänger der Anastasia-Bewegung leben als Selbstversorger an mindestens 17 Standorten in Deutschland. Die Anastasia-Anhänger wirken wie naturverbundene Aussteiger, glauben an Verschwörungstheorien und zeigen offene rechte und antisemitische Tendenzen, wenn sie unter sich sind - hat der Journalist Silvio Duwe für das ARD-Magazin Kontraste recherchiert.
In Deutschland gibt es mindestens 17 Standorte, an denen Mitglieder der Anastasia-Bewegung leben. Einer davon ist der Ort Grabow in Brandenburg. Hier gründen die Anastasia-Anhänger sogenannte Familienlandsitze. Der Journalist Silvio Duwe hat diese Siedlung, die bisher aus vereinzelten Grundstücken besteht, für das ARD-Magazin Kontraste besucht, sich mit den Mitgliedern der Bewegung getroffen, auch undercover recherchiert und für eine Dokumentation gefilmt.
Der Journalist beschreibt das Aussehen der "Anastasier" als deutsch-altertümlich: Die Männer tragen Kordhosen und Kleidung aus grobem Leinen, die Frauen lange Röcke und lange Haare, die oft zu Zöpfen gebunden sind.
Anastasia-Bewegung entstanden aus russischer Romanreihe
Entstanden ist die Anastasia-Bewegung durch eine russische Romanreihe von Wladimir Megre, der 1996 in Russland den ersten Band auf den Markt gebracht hat. Bis 2010 veröffentlichte Wladimir Megre insgesamt zehn Bände. Ab 1999 wurden diese ins Deutsche übersetzt. Parallel zu den Büchern hat sich die Bewegung nach und nach entwickelt, sagt der Journalist Silvio Duwe. Die Bücher verbreiten esoterisch-spirituellen Themen, Verschwörungstheorien und antisemitische Inhalten.
Anastasia: Die westliche Zivilisation als große Verschwörung
Die Anastasia-Anhänger glauben, dass die ganze westliche zivilisierte Welt eine große Verschwörung ist, wie Journalist Silvio Duwe bei seiner Recherche für seine ARD-Reportage für das TV-Magazin Kontraste herausgefunden hat: Sechs Priester und ein Oberpriester würden aus dem Hintergrund die Fäden ziehen. Sie hätten die Politik, die Wirtschaft und auch die Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Sie würden die Menschen manipulieren und die Welt in den Abgrund führen.
Der einzige Ausweg: Als Selbstversorger auf dem Land leben
Die Mitglieder der Bewegung lehnten alles ab, was ihrer Meinung nach zu der großen Verschwörung der westlichen Zivilisation dazu gezählt werden kann: zum Beispiel Schule, Medizin, Medien und Wissenschaft. Die "Anastasier" glaubten, dass sie der Manipulation des Systems nur entkommen könnten, wenn sie mit ihren Familien auf das Land ziehen und sich dort selbst versorgen.
"Wissenschaft ist böse, Schule ist böse, Medizin ist böse, Medien sind böse - alles, was die westliche Welt, die Zivilisation hervorgebracht hat, ist irgendwie dämonisch. Sogar die Demokratie ist dämonisch, da ist dann von "Dämonkratie" die Rede in den Anastasia-Büchern."
Bei der Recherche zur Anastasia-Bewegung hat Silvio Duwe viele Merkmale einer Sekte entdeckt, dass viele der Mitglieder an eine Verschwörung glauben und sich von der Außenwelt abkapseln zum Beispiel. Wenn es sich bei den "Anastasiern" um eine Sekte handeln sollte, findet Silvio Duwe es allerdings ungewöhnlich, dass an der Spitze der Bewegung kein Anführer steht, der die Mitglieder anleitet, den anderen sagt, was die reine Lehre ist. Die Lehre entspringt ausschließlich aus der Interpretation der Anastasia-Bücher, sagt der Journalist.
Außerdem gibt es in Deutschland verschiedene Anastasia-Gruppen, die die Bücher ein Stück weit individuell interpretierten, sagt Silvio Duwe. Das heißt, es gebe niemanden, der die große Lesart vorgebe. Die allgemeine Stoßrichtung sei, in Anlehnung an die Bücher, aber die gleiche.
"Was für eine Sekte sehr ungewöhnlich ist, zumindest in Deutschland, es gibt keinen personifizierten Sektenführer, der ganz vorne an dieser Bewegung steht und alle anleitet und sagt, nur das ist die reine Lehre , sondern die Lehre entspringt quasi aus der Interpretation der Bücher."
Bei seinen Recherchen zur Reichsbürger-Bewegung, sei der Journalist auf Foren im Internet auf die Anastasia- und die Familienlandsitz-Bewegung gestoßen. Silvio Duwe hat sich dann gefragt, warum Menschen aus diesen Kreisen so interessiert an dieser Bewegung sind. Er beschloss, selbst Treffen zu besuchen und mehr darüber zu erfahren.
Silvio Duwes Fazit zur Anastasia-Bewegung
Der Journalist hält diese Bewegung für gefährlich – obwohl er sagt, dass nicht alle Mitglieder der Anastasia-Bewegung rechtsradikal, rassistisch oder antisemitisch eingestellt seien. Viel bedenklicher findet Silvio Duwe, dass es sich bei der Bewegung um eine – wie er es nennt – Misch-Szene handelt, in der sowohl "Nazis, Antisemiten, Rassisten, Identitäre und Menschen, die einfach nur als Aussteiger einen alternativen Lebensweg finden" zusammenkommen. Silvio Duwe sagt, das ermögliche zum einen den Rechten, sich ein Stück weit hinter den anderen zu verstecken und das Ganze harmlos wirken zu lassen. Gleichzeitig nutzten die Rechten aber auch diese Bewegung, um bisher unpolitische Leute zu politisieren, sagt der Journalist. Darin sieht er die eigentliche Gefahr, "weil das in einem sehr harmlosen Gewand daherkommt und von vielen auf den ersten Blick gar nicht erkannt wird, was da eigentlich passiert."