Wir bewahren alte Kleidungsstücke auf, weil sie uns an einen bestimmten Menschen oder Moment erinnern. Oft versauern sie dabei in Kleiderschränken oder Kisten. Stattdessen können wir sie zu einem Objekt der Erinnerung machen, sagt Textilwissenschaftlerin Annette Hülsenbeck.
Manche Kleiderschränke scheinen pragmatisch: Sie beinhalten ausschließlich Kleidung, die wir tagtäglich tragen. Andere Kleiderschränke hingegen sind wie Schatztruhen: In ihnen bewahren wir das eine T-Shirt auf, das uns an das erste Date von damals erinnert oder das Sommerkleid, das noch nach dem letzten Strandurlaub riecht.
Tragen möchten wir diese alten Kleidungsstücke nicht mehr, weil sie beispielsweise zu klein oder löchrig sind, weggeben ist aber auch keine Option. Denn: Die Kleidungsstücke sind zu Erinnerungsstücken geworden.
Das Kleidungsstück als abwesender Körper
Ähnlich wie Fotos lassen sie uns an bestimmte Situationen erinnern. Und das macht es eben für einige Menschen schwer, sich von ihnen zu trennen, sagt Textilwissenschaftlerin Annette Hülsenbeck von der Universität Osnabrück. Das gilt auch für Kleidungsstücke, die ursprünglich anderen Personen gehörten, erklärt sie und vergleicht diese alten Erinnerungsstücke mit abwesenden Körpern.
Halten wir das verwaschene Shirt der Lieblingsband des Partners oder den ausgeblichenen Rock der Mutter in der Hand, erinnern wir uns an die Person darin und stellen uns den Moment vor, als sie oder er das Kleidungsstück getragen hat, erklärt die Textilwissenschaftlerin.
"Selbst Kleider, die nicht mir gehören, rufen Empfindungen, Vorstellungen, Illusionen hervor. Kleidung ist ein stummer Impuls, der riecht, der eine Farbigkeit hat – da passiert was."
Für Necla ist das zum Beispiel ihr alter Band-Pulli mit dem Tote-Hosen-Logo, den sie sich mit 14 Jahren gekauft und lange getragen hat. Später hat auch ihr damaliger Partner das schwarze Band-Sweatshirt gerne angezogen. Heute aber liegt der Pulli verborgen in einer Kiste – ihre Haustiere haben Löcher in den Stoff gefressen.
"Mein Freund hat Gefallen an dem Pulli gefunden und ihn immer getragen, obwohl das Teil eigentlich nicht mehr tragbar war. Nach unserer Beziehung habe ich ihm gesagt, dass er alles behalten könne außer den Pullover."
Um dem Erinnerungsstück einen Platz in den Tiefen alter Kisten zu ersparen, rät Annette Hülsenbeck dazu, alte Shirts, Kleider und Co. einzurahmen und ähnlich wie Kunstwerke zu präsentieren. Als platzsparende Alternative empfiehlt sie, ein Foto von dem Kleidungsstück zu machen und es anschließend wegzugeben.
Fühlen, riechen, erinnern
Für Ana hingegen ist gerade die Haptik entscheidend, wenn es um das Erinnern geht. "Den Stoff zu spüren, die Form, die Größe – das ist wie beim Riechen, da fühlt man sich in die Kindheit zurückversetzt. Die Haptik spielt eine große Rolle für die Erinnerung", erklärt sie.