Wir alle kennen mindestens einen Fall von Alkoholabhängigkeit in der Familie, unter Freunden, Bekannten oder Kollegen. Sprechen wir sie an auf ihre Alkoholkrankheit? Oder meiden wir das Gespräch?
Tatsächlich ist die Frage gar nicht so leicht zu beantworten, ob wir besser unsere Freundin oder den Bruder direkt auf die Alkoholsucht ansprechen oder dem Thema aus dem Weg gehen. Hartmut Große berät seit vielen Jahren Angehörige von Alkoholikern beim Selbsthilfeverband Al-Anon. Und auch er kann darauf keine eindeutige Antwort geben. Denn, so sagt der Berater, es kommt darauf an, wie nahe uns der Mensch steht, wie sehr wir selbst unter der Abhängigkeit des anderen leiden, welche Gründe uns bewegen, darüber nachzudenken, das Thema anzusprechen.
Wie stehe ich selbst zu Alkohol?
Bevor wir das Thema ansprechen, müssen wir uns selbst darüber bewusst sein, was wir kommunizieren wollen. Ist Alkohol trinken grundsätzlich schlecht? Warum trinken wir dann selbst ab und zu? Hartmut Große rät, sich über Alkoholsucht zu informieren, um für sich selbst unterscheiden zu können: Was sind unsere eigenen emotionalen Motive, die aus der Beziehung zu dem Alkoholkranken entstehen?
"Wenn es persönlich wird, muss ich sehr genau wissen, was ich kommunizieren möchte. Ich muss mir meiner selbst sicher sein, um diese Kommunikation zu beginnen."
Ein sehr wichtiger Punkt für das Gespräch mit der Freundin oder dem Bruder: Wir müssen lernen, unsere Gesprächshaltung zu ändern und eine Ich-bezogene Kommunikation aufzubauen, sagt Hartmut Große. Wir sollten lernen von uns zu sprechen: "Ich mache mir Sorgen." "Ich habe Angst." "Ich sehe, dass es dir nicht gut geht." Und der Freundin klar machen, dass es um die eigenen Sorgen und Ängste geht, sagt Harmut Große.
Wir müssen begreifen, dass sich die Wahrnehmung bei unserer Freundin oder dem Verwandten bereits durch den starken Alkoholkonsum verändert hat. Wenn wir versuchen, mit unserer "richtigen" Wahrnehmung ihre Welt einzuordnen, werden wir auf Granit beißen.
"Wenn ich in den Du-Rhythmus komme, du sollst, du musst, du darfst nicht, wird mir mein Gegenüber nicht mehr zuhören."
Aber vielleicht handelt es sich bei der Freundin gar nicht um eine "richtige" Alkoholabhängigkeit, sondern nur um eine Phase, in der sie einfach mehr Alkohol trinkt? Hartmut Große meint, falsch können wir dabei nichts machen, wenn wir nachfragen, warum es denn gerade so viel Alkohol sein muss.
Nur eine Phase?
Denn reagiert die Freundin auf die Frage und erklärt das Verhalten mit einer "vorübergehenden Phase", dann können wir mit ihr darüber sprechen, ob Alkohol die richtige Antwort auf die "Stressphase" ist. Ob es sich bereits um Sucht handelt oder nicht, kann nur der oder die Betroffene beantworten, sagt Hartmut Große. Ein offiziell nachprüfbares Kriterium, ab wann es sich um Sucht handelt, gibt es nicht. Es kann auch passieren, dass jemand, der sehr viel trinkt, durch rationale Argumente selbst zu dem Schluss kommt, dass etwas aus dem Ruder läuft.
"Dann kann ich vielleicht eine sachliche Diskussion darüber anfangen, dass es auf keinen Fall gut ist, ein Rauschmittel einzusetzen."
Wie sinnvoll es ist, die Freundin oder den Bruder auf die Alkoholabhängigkeit anzusprechen, hängt stark vom Einzelfall ab, sagt Hartmut Große. Wenn der Alkohol für den Betroffenen ein wunder Punkt ist, kann er sich möglicherweise dem Gespräch verweigern, weil, so Hartmut Große, er auch alles dafür tut, sich selbst ständig zu beweisen, dass er ja gar nicht abhängig ist.
Sprechen wir die Alkoholkrankheit an, konfrontieren wir den Betroffenen mit Fragen, die er sich selbst schon lange beantwortet hat. Für uns klingen die Antworten oft nach Selbsttäuschung. Wenn wir dann aber hartnäckig bleiben und nachfragen, weil wir glauben, unserer Freundin das Problem bewusst machen zu müssen, reagiert sie vielleicht nur ausweichend oder sogar mit Kontaktabbruch, beschreibt Hartmut Große die schwierige Situation für die Angehörigen und Freunde.
"Ich muss mich frei machen von einer moralischen Verpflichtung. Ich meine, ich müsse da einschreiten, weil ich die Katastrophe sehe."
In der Situation der Sprach- und Kommunikationslosigkeit hoffen Freunde und Angehörige auf Therapeuten, die dann professionell Zugang zu dem Alkoholkranken finden. Doch der sieht sich genau der gleichen schwierigen Situation gegenüber. Nur wenn der Betroffene selbst zu der Einsicht gelangt, dass er Hilfe braucht, kann der Therapeut erst behandeln.
"Eine Suchterkrankung setzt immer voraus, dass der Betroffene für sich selber die Frage stellt: Ist das alles noch in Ordnung? Schaffe ich das alleine? Brauche ich Hilfe?"
Schmerzlich ist der Zeitpunkt, wenn wir als Freunde oder Verwandten feststellen, dass wir mit unseren Gesprächen bei der Freundin oder dem Bruder nicht durchdringen, dass wir anfangen, uns in deren Leben einzumischen. Wir müssen uns dann selbst eingestehen, an die Grenze dessen gelangt zu sein, was wir leisten können, und müssen lernen zu akzeptieren, dass sie oder er dieses Leben so gewählt hat und eventuell - auch zu unserem eigenen Schutz - den Kontakt abbrechen.
"Leisten können Freunde und Familie immer nur das, was sie selber können, und das müssen sie herausfinden."
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