Für wissenschaftliche Ergebnisse braucht die Öffentlichkeit vor allem Geduld. Die Wissenschaft braucht dafür ihre Standards und Zeit. Die Medizinethikerin Alena Buyx bringt beides zusammen und bleibt diplomatisch.
Alex London und Jonathan Kimmelman haben im Wissenschaftsmagazin "Science" vor der mangelnden Qualität vieler Corona-Studien gewarnt. Der Text der beiden Ethiker im Meinungsteil der Zeitschrift ist überschrieben mit "Against pandemic research exceptionalism." Ihre Kernthese: Krisen könnten grundsätzlich geringere wissenschaftliche Standards nicht entschuldigen.
Alena Buyx teilt zwar diese Ansicht, aber sagt auch: "Das internationale Forschungssystem zeigt gerade, was es kann." Alena Buyx lehrt Medizinethik an der Technischen Universität München und leitet dort das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin. Für die Wissenschaft habe die momentane Situation zwei Seiten: Einerseits sei die Wissenschaftsgemeinschaft stark mobilisiert und arbeite in einem beeindruckenden Ausmaß zusammen. Damit gehe andererseits der dringliche und nachvollziehbare Wunsch nach einem möglichst hohen Arbeitstempo einher.
Knackpunkt Studiendesign
Ernsthafte Qualitätsprobleme sieht Alena Buyx bei manchen Publikationen aus dem Ausland. Wenn Menschen, die an den Studien teilnehmen, Risiken ausgesetzt werden, die Ergebnisse dann aber aufgrund systematischer Fehler nicht brauchbar sind, sei das problematisch.
"Also wir sehen das jedenfalls im Ausland, dass zum Teil Dinge veröffentlicht werden, die wirklich ganz schlampig gemacht sind und richtige Fehler in den Studiendesigns haben."
Vergleichbar gravierende Problemen sieht sie in Deutschland nicht. Bei der sogenannten Heinsberg-Studie seien Zwischenergebnisse auf strittige Art und Weise kommuniziert worden. Daran war unter anderem eine PR-Agentur beteiligt. Die Qualität der gesamten Studie, auch der ihr nicht detailliert bekannten Daten, berühre das nicht, findet Alena Buyx und präzisiert: "Das war sicherlich nicht optimal, aber sagt noch nichts über die Qualität der gesamten Studie aus."
Eine Frage des richtigen Timings
Die Kunst sei, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem Zwischenergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden können. Es sei wichtig, darauf hinzuweisen, wenn es sich erst um Zwischenergebnisse handele. Und in diesem Fall genau zu erklären, wie aussagekräftig dieser Forschungsstand sei. Sonst bestehe die Gefahr, dass es in der öffentlichen Debatte übersprungen werde.
"Es wird mit diesen Ergebnissen so umgegangen, als wären die durch einen jahrelangen Prüfprozess gelaufen, wie das sonst manchmal der Fall ist."
Zum Hintergrund: Die internationale Wissenschaftsgemeinschaft ist eine Teilöffentlichkeit. Die Meinungsbildung funktioniert dort anders, als in der Gruppe der politischen Akteure oder im allgemeinen öffentlichen Diskurs.
Zur wissenschaftlichen Meinungsbildung gehören in der Regel mehrere prüfende Experten des jeweiligen Fachbereichs – siehe dazu auch Seite neun des Skripts der 34. Folge des Coronavirus-Update-Podcasts. Der Virologie Christian Drosten, erklärt dort detailliert, wie mangelhaftes Studiendesign zwar eine aufregende Schlagzeile aber kein brauchbares Ergebnis liefern kann.