Seit einem Jahr sind die Taliban an der Macht. Sie haben aus Afghanistan ihren Gottesstaat gemacht, in dem Frauen unterdrückt werden, Menschen hungern und sich aus Angst vor Folter oder Tötung verstecken. Warum das Land unter den Taliban sehr viel ärmer geworden ist, erklärt ARD-Korrespondentin Silke Diettrich.
Der 15. August markiert den Tag, an dem die Taliban im Sommer 2021 die Macht in Afghanistan ergriffen haben. Seitdem ist Afghanistan zu einem viel ärmeren Land geworden, sagt die ARD-Korrespondentin für Südasien, Silke Diettrich.
Mehr als 90 Prozent der Menschen sind nach einem Jahr Taliban-Regime unter- oder mangelernährt. Viele Menschen, die zuvor zur Mittelschicht gehörten, stehen jetzt an den Essensausgaben, um auf eine Portion Bohnen, Reis und Mehl zu hoffen.
"Die Taliban haben Afghanistan sehr viel ärmer gemacht."
Unter den Taliban ist Afghanistan ein islamistischer Gottesstaat geworden, erklärt Silke Diettrich. Demonstrationen – besonders die von Frauen – werden innerhalb von Minuten aufgelöst. Die Machthaber feuern mit ihren Waffen Schüsse in die Luft ab als Zeichen ihrer Macht und nehmen dann die Demonstrantinnen fest.
Ständige Repression und Bedrohung
Auch Silke Diettrich, die direkt aus Afghanistan berichtet, haben die Taliban vor wenigen Tagen über acht Stunden festgehalten, weil sie über einen für die Machthaber illegalen Protest berichten wollte.
"Ich bewundere die Frauen so sehr, die sich immer wieder trauen, auf der Straße zu protestieren, obwohl um sie herum dann ein grauenhafter Beschuss losgeht."
Für die Taliban ist es unislamisch, wenn Frauen auf die Straße gehen. Sie verdrängen Frauen aus dem öffentlichen Raum: aus Schulen, Büros, von der Straße. Viele Frauen stehen daher auf einer Liste besonders gefährdeter Personen. Darunter ehemalige Richterinnen, Polizistinnen oder Sportlerinnen. Sie sollen einmal aus Afghanistan in Sicherheit gebracht werden. Wann das geschehe, sei unklar.
Listen besonders gefährdeter Personen
Diese Liste besonders gefährdeter Personen ist nur eine von vielen. Neben der Liste für Menschen, die vor der Machtübernahme für internationale Organisationen oder Botschaften gearbeitet haben, gibt es noch eine weitere Liste für die sogenannten Ortskräfte. Sie haben mit der Bundeswehr zusammen gearbeitet.
Ihnen hat die damalige Bundesregierung versprochen, alles zu tun, um sie aus Afghanistan zu holen und sie so vor den Taliban zu schützen. Es sollen mittlerweile auch gut zwei Drittel der ehemaligen Ortskräfte nach Deutschland gekommen sein, so die Korrespondentin. Zwischen 11.000 bis 12.000 von den ehemals bis zu 40.000 Ortskräften in Afghanistan warten aber noch immer auf ihre Ausreise.
Ehemalige Ortskräfte - Leben im Versteck
In Afghanistan zu bleiben, bedeutet für die gefährdeten Menschen, sich zu verstecken. Kaum einer von ihnen oder von den Ortskräften möchte mit Journalist*innen sprechen – aus Angst vor Strafen, Folter, Tötung. "Die Taliban sagen: 'Wir bringen niemanden um, der vorher für andere Organisationen im Ausland gearbeitet hat.' Aber es hat 160 außergerichtliche Tötung gegeben", berichtet die Korrespondentin. Darunter sind weniger Ortskräfte, sondern vor allem Menschen, die für andere Regierungen oder das Militär gearbeitet haben.
Mit der Angst, dass die Taliban auch sie foltern, misshandeln oder töten könnten, warten Tausende Menschen weiter auf die Ausreise. Viele von ihnen können aber nicht ausreisen, weil sie keine Papiere haben oder ihnen das Visum fehlt, damit sie über ein Nachbarland wie dem Iran oder Pakistan nach Deutschland kommen. Aus Afghanistan selbst kann die Bundesregierung sie aktuell nicht holen.
In den Nachbarländern sei die Bundesregierung mittlerweile in den Botschaften gut aufgestellt. In Teheran zum Beispiel gibt es auch ein neues Büro, in dem die Anträge bearbeitet werden sollen. "Und das sind unglaublich viele", sagt Silke Diettrich.