Amnesty International berichtet von inoffiziellen Lagern in Libyen, in denen Geflüchtete schwer misshandelt werden. Annika Michler von Ärzte ohne Grenzen hat vor Ort gesehen, wie es den Menschen ergeht.
(Das Foto stammt aus einem Auffanglager für Flüchtlinge in Misrata in Libyen vom 17.06.2016)
Menschen auf der Flucht sollen von der libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden. Das ist eine Vereinbarung mit der Europäischen Union, so sollen die Flüchtenden von Europa ferngehalten werden. Aber was passiert mit den Menschen, die auf der Flucht aufgegriffen werden?
Flüchtlingsorganisationen erheben immer wieder schwere Vorwürfe gegen die Küstenwache: Sie lasse Menschen ertrinken oder misshandele sie. Nun hat Amnesty International weitere Vorwürfe festgehalten: Während die eine Hälfte der aus Seenot abgefangenen Menschen zurück in die offiziellen Haftlager gebracht wird, gilt die andere Hälfte als verschwunden. Diese Menschen sollen von Milizen in inoffizielle Lager verschleppt werden.
Amnesty International kritisiert: "Die in dem Land grassierende Straffreiheit führt dazu, dass niemand zur Verantwortung gezogen wird, der die Rechte geflüchteter Menschen oder gar die Menschen selbst mit Füßen tritt."
Misshandlungen in inoffiziellen Flüchtlingslagern
Annika Michler hat in der Zeit von Januar bis Juli 2020 in Libyen für Ärzte ohne Grenzen die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in den offiziellen Haftlagern in Misrata und der näheren Umgebung dort koordiniert. Sie berichtet uns von ihren Erlebnissen.
Manchmal erreichen Geflüchtete aus den inoffiziellen Lagern die Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen, sagt Annika Michler. "Viele werden durch ihre Familien freigekauft, manche Migranten schaffen es auch zu fliehen." Es habe auch schon Fälle gegeben, in denen die Polizei oder Milizen ein inoffizielles Lager aufgelöst hätten und eine größere Anzahl von Menschen freikam. Die Einrichtungen der Ärzte ohne Grenzen sind dann eine Anlaufstelle für sie.
"Bei Frauen spielt eigentlich immer sexuelle Misshandlung eine Rolle."
Nach Aussagen von Annika Michler sind die Befreiten in keinem guten Zustand. "Diese Menschen haben schwere Misshandlungen, häufig eine Mischung aus frischen Wunden und bereits vernarbten Wunden, viele Knochenbrüche, viele Verbrennungen, Narben auf der Haut, Plastik, das in die Haut geschmolzen wurde", zählt Annika Michler die beobachteten Verletzungen auf.
"Bei Frauen spielt eigentlich immer sexuelle Misshandlung eine Rolle", sagt Annika Michler. Neben all diesen körperlichen Schäden gebe es auch häufig Unterernährung, Atemwegsinfektionen, Hautinfektionen und psychische Probleme. "Sie sind stark traumatisiert."
Was genau in den inoffiziellen Lagern passiert und wie es in ihnen aussieht, kann Annika Michler nicht sagen: Ärzte ohne Grenzen haben hier keinen Zugang. Aber die Zustände in den offiziellen Lagern seien ebenfalls überall menschenunwürdig.
"30 bis zu 100 Menschen, die sich einen Raum teilen, häufig nur mit ein, zwei kleinen Fenstern."
Es sind große Zahlen von Menschen, die auf kleinen Raum zusammengepfercht werden. "30 bis zu 100 Menschen, die sich einen Raum teilen, häufig nur mit ein, zwei kleinen Fenstern", sagt Annika Michler. Es gebe unzureichende Toiletten, Duschen, einen Mangel an Nahrung und Trinkwasser. Das führe zu schlechter Belüftung, die Atemwegserkrankungen und andere Krankheiten fördere.
Probleme sind bekannt
Die Betreiber der Camps würden die Notwendigkeit der ärztlichen Versorgung durchaus sehen, sagt Annika Michler. Aber das sei sehr unterschiedlich: "Mal werden wir angerufen, weil es einen Notfall gibt, mal dürfen wir gar nicht ins Lager rein." Die Camp-Betreiber würden sich vor negativen Berichten fürchten, die Annika Michler und ihr Team verfassen könnten.
Die Menschen in den offiziellen Lagern haben kaum eine Chance, diese zu verlassen. Zwar gebe es UN-Organisationen, die sich um Flüchtlinge mit einem Anrecht auf Asyl kümmern, sagt die Michler, doch die Anzahl der Menschen, die so tatsächlich die Lager verlassen könnten, sei sehr gering. Die Programme dieser UN-Organisationen ruhten derzeit wegen der Coronavirus-Pandemie.