Anton wagt riskante Kletteraktionen ohne Seil. Nicht nur gefährlich, sondern auch illegal sind Yanns Erkundungstouren in U-Bahnschächten. Was bei solchen Aktionen in unserem Gehirn passiert, weiß die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen.
Schon der kleinste Fehler am Fels kann tödliche Folgen haben, denn beim Free Solo klettern die Sportler ohne Seil und Absicherung in der Wand. "Wenn du fällst, dann fällt du bis ganz nach unten. Und wenn du hoch genug bist, dann ist das dein Ende", sagt Anton, der es liebt, in dieser riskanten Variante zu klettern.
"Beim Free-Solo-Klettern ist natürlich die Konsequenz herunterzufallen und zu sterben da. Das Risiko hat diverse Variablen und auch Konstanten."
Anton klettert viel in der Sächsischen Schweiz nahe Dresden. Manche Kletterrouten an den Felstürmen gehen hier bis an die 70 Meter hoch, sagt er. Der Gefahr herunterzufallen und zu sterben, sei er sich bewusst. Ein plötzlicher Felsabbruch etwa bleibe eine nicht zu beeinflussende Variable.
Free-Solo – Klettern im Rausch
An anderen Stellen ließe sich das Risiko jedoch minimieren und das versucht Anton so gut es geht: Konzentriert und fokussiert bleiben ist das Mindeste. Anton klettert nur Routen, für die er sich stark genug fühlt und diese dann mit absolutem Willen und Entschlossenheit. Der Fels müsse außerdem trocken sein, das Wetter gut, aber nicht zu viel Sonne, damit die Fingerkuppen nicht schwitzen.
"Ich fühle mich extrem elegant, wenn ich ohne Seil kletter. Man ist komplett mit sich selbst und so richtig in seiner Blase."
Anton klettert aber auch klassisch mit Seil und Sicherung. Das Gefühl ohne Seil sei aber unvergleichlich. Elegant und frei würde er sich dann fühlen – ganz bei sich und in seiner eigenen Blase.
Das Gefühl, das er beim Free-Solo-Klettern empfinde, sei einmalig intensiv und habe etwas von einer Droge. Häufig sei es so, dass sich der Alltag nach einer solchen Tour lau anfühle. Nach ein paar Wochen würde sich das aber wieder legen.
Die Stadt als großer Abenteuerspielplatz
Auch Yann liebt das Abenteuer und geht dafür auch ein gewisses Risiko ein – zum Beispiel, wenn er in einen U-Bahn-Tunnel einsteigt und sich zu Fuß im Untergrund bewegt. Die Stadt ist für ihn ein großer Abenteuerspielplatz und ihn interessiert es, wie es dort unten aussieht, sagt er. In Barcelona habe er mal acht Stunden im Tunnel verbracht und sei dabei über 20 Kilometer gelaufen.
"Mich interessiert, wie es dort aussieht, einfach mal die Stadt zu erkunden, die für mich ein großer Abenteuerspielplatz ist."
Von Haltestellen aus in den Tunnel rennen, Baustellen, Lüftungs- oder Notausgänge – ein Zugang finde sich auf verschiedenen Wegen. Um zumindest das Gefühl zu haben, die Gefahr zu kontrollieren, recherchiert Yann im Vorfeld unter anderem, wie und wann die Züge fahren und geht dann mit einem Ziel und Planung los, sagt er. Verlaufen habe er sich glücklicherweise noch nie.
Tunnel erkunden - Eine Mischung aus Abenteuer und Neugier
Früher habe ihm vor allem der Adrenalinkick angetrieben. Heute sei es immer noch die Lust auf Abenteuer, aber auch eine große Neugierde, Schönheiten zu entdecken, die anderen verborgen bleibe – zum Beispiel die alten Katakomben in Paris, oder die Bauarten und unterschiedliche Architektur von Tunneln. Yann ist am liebsten mit Freunden unterwegs. "Zu mehreren passt man besser auf und hat noch mehr Spaß. Allein ist das einfach wirklich sehr stressig und auch gefährlich", sagt er.
Manchmal treffe er und seine Kumpels im Tunnel auf Arbeiter oder Sicherheitsbeamte. Dann heißt es, gut zu schauspielern und so zu tun, als ob sie berechtigt wären, dort zu sein. In anderen Fällen bleibe nichts übrig, als wegzurennen. "Das passiert öfter als man denkt", sagt Yann.
Der Nervenkitzel ist ein besonderes Gefühl
Der Puls steigt, die Atmung wird schneller, wir sind voll auf den Moment fokussiert – der Nervenkitzel ist schon ein besonderes Gefühl und auch eine Art, eins mit sich und seinem Körper zu sein, sagt die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen, die zum Thema Risiko forscht.
"Wir merken den Herzschlag und dass wir schneller atmen. Wir sind richtig auf den Moment fokussiert."
Das Adrenalin im Körper führe auch dazu, dass wir handlungsfähiger werden, was für Stresssituationen im Allgemeinen gelte. Dann können wir gerade nicht viel grübeln, sagt die Neurowissenschaftlerin.
Das Risiko-Empfinden ist individuell
Die persönliche Schwelle im Empfinden von Risiko und Gefahr sei individuelle sehr unterschiedlich. Manche Menschen würden davon ein bisschen mehr suchen als andere. Das sei auch wichtig, denn schließlich braucht es Feuerwehrleute oder Ärztinnen, die in Notfällen operieren – also Menschen, die in Belastungssituationen gut funktionieren würden. Das bringe die Veranlagung für eine höhere Risikobereitschaft mit sich.
Gewöhnungseffekte können zum Problem werden
Wer sich aber bewusst in Gefahr, vielleicht sogar in eine Todesangst bringe, erreiche ein Level ähnlich einer Spiel- oder Drogensucht, wo wir uns eigentlich nicht mehr wohlfühlen und selten wissen, wann Schluss ist, so Franca Parianen. Der Gewöhnungseffekt könne zusätzlich dazu beitragen, dass die Leistungsgrenze immer weiter verschoben werde. Dadurch könnten Situationen entstehen, in denen wir uns überschätzen oder auch andere Menschen gefährden.
"Oft vergessen wir, dass Leute Stimulation brauchen."
Es muss nicht gleich eine Extremsituation sein, aber in bisschen Stimulation bräuchten im Prinzip alle Menschen. "Wir wollen neue Erfahrungen machen. Wir wollen neue Dinge sehen und dafür müssen wir uns Luft und Leben schaffen," sagt die Neurowissenschaftlerin.
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- Anton klettert gerne ohne Sicherung
- Yann erkundet illegal U-Bahn-Tunnel
- Neurowissenschaftlerin Franca Parianen erklärt, was in Risiko-Situationen in unserem Körper passiert