Wer deutlich sichtbare Muskeln hat, gilt als gesund und stark. Training kann aber auch krankhaft sein – eine echte Sucht. Deshalb hat die Caritas München nun ein Beratungsangebot für Frauen und Männer mit dem sogenannten Adonis-Komplex geschaffen. Dlf-Nova-Reporter Stephan Beuting erklärt, was es damit auf sich hat und was hilft.
Muskeldysmorphie ist eine Körperwahrnehmungsstörung, unter der viele Bodybuilder leiden. Die Folgen können extrem sein. Für Sportler, die darunter leiden, ist der ganze Körper eine Problemzone. Das sagt Christian Strobel. Er ist Therapeut und Experte für Muskeldysmorphie bei der Caritas München.
"Jemand zieht sein T-Shirt hoch und es geht sofort um Problemzonen: Um den Bizeps, der nicht muskulös genug ist oder um die Nackenpartie, die nicht genug ausgearbeitet ist."
Der Betroffene denkt, ganz gleich wie dick die Muskeln tatsächlich sind, sie wären zu mickrig. Am Anfang der Störung ist häufig der Wunsch, sich fit zu fühlen und etwas für die Figur zu tun. Am Ende können Essstörungen und soziale Isolation stehen.
"Irgendwann sind die Betroffenen in einer Abwärtsspirale aus Selbstoptimierungswahn und dem sozialen Rückzug. Dazu kann sich eine Essstörung ausbilden. Die Leute hungern und trinken nur noch Proteinshakes."
Sich bewusst ernähren, Sport treiben, Leistung zeigen, das sind gesellschaftlich anerkannte Werte. Wer das zu weit treibt, kann in die Sucht abrutschen. Bei mehr als 30 Stunden Training die Woche sind Belastungsbrüche möglich. Betroffene greifen zu Steroiden. Aus Motivation zur Bewegung wird gesundheitsgefährdender Sportzwang.
Geschätzt 80.000 Muskelsüchtige
Christian Strobel berichtet von Schätzungen, denen zufolge in Deutschland der Anteil an der Bevölkerung zwischen 1 und 8 Prozent liegt. Das wären mindestens 80.000 Betroffene. Unter den Bodybuildern könnte jeder vierte eine gestörte Körperwahrnehmung haben. Marvin ist Bodybuilder und betreibt einen Fitnessblog, sagt aber, dass er ganz zufrieden mit sich ist.
"Im Moment bin ich bei fünf, sechs Tagen Krafttraining die Woche, dazu kommen zwei, drei Mal die Woche doppelte Trainingseinheiten."
Das sind rund 30 Stunden wöchentlich. Für Sozialleben und Arbeitsleitung bleibt dann weniger Zeit, sagt Christian Strobel. Wer zwanghaft trainiert und Sport treibt, der versucht etwas zu kompensieren. Christian Strobel versucht dann, in kleinen Schritten Alternativen zu finden. Von dem Erfolg ist er überzeugt, jedenfalls kurzfristig.
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