Bei Angelina Boerger wurde AD(H)S erst mit Ende zwanzig festgestellt, bei Instagram klärt sie darüber auf. In der Forschung gibt es beim Thema eine Neuausrichtung, sagt die Psychologische Psychotherapeutin Mona Abdel-Hamid, die auch berücksichtigt, dass Mädchen anders erzogen und reguliert werden als Jungen.
ADS bedeutet Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und ADHS beinhaltet ein zusätzliches „H“ eine Hyperaktivitätsstörung. Laut AD(H)S-Ratgeber haben bis zu 4,5 Prozent der Erwachsenen und 3 bis 7 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland AD(H)S. Bei AD(H)S ist das Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) verändert. Dadurch kommt es laut dem Bundesgesundheitsministerium bei AD(H)S zu:
- Hyperaktivität (übersteigerter Bewegungsdrang) nur bei ADHS, nicht bei ADS
- Unaufmerksamkeit (gestörte Konzentrationsfähigkeit)
- Impulsivität (unüberlegtes Handeln)
Angelina hat die Diagnose mit Ende zwanzig bekommen. In ihrem Podcast Kirmes im Kopf spricht sie über die Diagnose im Erwachsenenalter.
Nur zufällig kommt Angelina darauf, dass es sein könnte, dass ihr Gehirn anders funktioniert als das von anderen Menschen. Als sie eine andere Frau über deren ADHS sprechen hört, denkt sie: "Das bin ich!"
"Seit ich denken kann, ist das so, das ist keine Phase."
Psychologische Psychotherapeutin Mona Abdel-Hamid erklärt, auch wenn AD(H)S im Erwachsenenalter erst diagnostiziert wird, treten die Symptome meist schon im Kindesalter auf. Die Kinder, die AD(H)S haben, würden bereits in der Schule auffällig werden, weil sie träumen, nur aus dem Fenstern schauen, abgelenkt oder unruhig, impulsiv sind und in die Klasse quatschen. "Das wird dann meinen Charakter zugeschrieben, begleitet mich ein Leben lang und führt im Erwachsenenalter auch zu beruflichen Problemen", erklärt die Psychologin.
"Wenn ich als Mädchen nur verträumt oder unaufmerksam bin, dann ärgere ich nicht groß jemanden, ich falle nicht auf. Ich bekomme erst später auf der Arbeit Probleme, wenn ich mich nicht konzentrieren kann. Der Leidensdruck kommst erst später im Leben."
In der Forschung sei vor allem die Mischform AD(H)S bei Jungen diagnostiziert worden, sagt Mona Abdel-Hamid. Diese werden meist auch früher diagnostiziert, weil sie mehr auffallen. Dagegen sei bei Mädchen häufiger ADS festgestellt worden, das Symptom der Unaufmerksamkeit, das "Verträumte oder Ablenkbare". Mehr und mehr würden die Forschenden heute auch berücksichtigen, dass Mädchen anders behandelt oder reguliert werden in der Schule oder von Eltern, wenn sie laut und impulsiv sind. In der Forschung finde diesbezüglich gerade eine Neuausrichtung statt. "Ich kenne viele Patientinnen, die AD(H)S-Symptome aufweisen und Einträge ins Klassenbuch hatten, weil sie impulsiv waren und gestört haben", sagt Mona Abdel-Hamid.
AD(H)S Diagnose
Um überhaupt einen Platz für eine AD(H)S-Untersuchung zu bekommen, müsse man zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Wartezeit in Kauf nehmen, erklärt Angelina. Nach ihrer Diagnose fühlt sie sich erleichtert, aber auch gleichzeitig traurig.
"Das war ein Wechselbad der Gefühle, weil ich endlich schwarz auf weiß hatte, anders zu sein, und das war erlösend und gleichzeitig geht das Grübeln los."
Erleichtert ist Angelina, weil sie endlich weiß, warum sie zum Beispiel so häufig vergisst, die Waschmaschine auszuleeren, oder in Schulzeugnissen als störend, aber kreativ beschrieben wurde. Traurig ist sie jedoch auch darüber, dass nicht früher nach Ursachen geschaut wurde.
Mona Abdel-Hamid sagt, dass es Menschen mit ADHS gibt, denen gut geholfen werden kann, mit den Symptomen umzugehen. Sie erklärt aber, dass auch viele Menschen einfach unproblematisch mit AD(H)S ihr Leben führen, ohne es zu wissen.
Folgen der AD(H)S Diagnose und Therapie
Für Angelina hat die Diagnose ihr Leben stark verändert. Zum Beispiel hat sie eine Verhaltenstherapie angefangen. Dabei verarbeitet sie zunächst, was bisher geschehen ist. Gleichzeitig eröffnet ihr die Therapie neue Möglichkeiten, mit Symptomen umzugehen.
Mona Abdel-Hamid beschreibt die Symptome so, dass Menschen mit ADHS zum Beispiel häufig Probleme mit Vorgesetzten oder im Freundeskreis haben, weil sie zu Wutausbrüchen und Impulsivität neigen. Häufig gibt es dadurch zum Beispiel Brüche im Lebenslauf.
Zusätzlich nimmt Angelina Medikamente und sagt, dass sie sie nimmt, um ein Stück weit auch mitzuhalten und mehr Energie zu haben.
"Es gibt auch gute Eigenschaften bedingt durch ADHS wie eine ausgeprägte Kreativität und Empathie – so was muss erkannt, gefördert und gefeiert werden."
Sowohl Angelina als auch Mona Abdel-Hamid erklären, dass AD(H)S auch gute Eigenschaften bedingen wie eine ausgeprägtere Kreativität und Lösungsorientierung. Ebenfalls können Menschen mit AD(H)S besser Multitasking als Menschen ohne AD(H)S. Auch eine gesteigerte Empathie kann Personen, die AD(H)S haben, zugeschrieben werden.
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- Angelina Boerger, hat mit 28 Jahren die Diagnose ADHS bekommen
- Mona Abdel-Hamid, psychologische Psychotherapeutin