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Seit Donald Trump im Amt ist, gibt es Zweifel darüber, ob die USA Europa im Angriffsfall unterstützen. Daher erwägt Friedrich Merz, sich an einem europäischen Nuklearschutz zu beteiligen. Belit Onay ist Grünen-Politiker und hält das für einen Fehler.

Der Status quo sieht so aus: Deutschland hat keine eigenen Nuklearwaffen. Das hat historische Gründe. Darüber hinaus wurde Deutschland als Nato-Mitglied zugesagt worden, verteidigt zu werden. Allen voran von den USA. Und im Zweifel auch mit Atomwaffen.

Frank Sauer beschäftigt sich als Politikwissenschaftler seit über 20 Jahren mit Nuklearwaffen. Er hält es für realistisch, dass die USA unter Präsident Donald Trump ihre Atomwaffen aus Europa abziehen, das heißt auch aus dem deutschen Ramstein, dem europäischen Hauptquartier der US-Luftwaffe. Doch diese Atomwaffen gehören überhaupt nicht zu dem sogenannten Atomschirm, über den gerade diskutiert wird, erklärt Frank Sauer.

Atomwaffen spielen mit der Angst vor Vernichtung

Den Begriff Atomschirm kritisiert Frank Sauer als falsch. "Es ist eben kein Schirm, über den gesprochen wird, sondern es geht um die sogenannte erweiterte nukleare Abschreckung", so Frank Sauer. "Das Gegenüber soll wissen: Sollte es mit solchen Waffen angreifen, könnte mit mindestens gleichen Mitteln Vergeltung geübt werden."

Es geht also darum zu drohen, mit Atomwaffen dem Gegner großen Schaden zufügen zu können. Und weil der Gegner das weiß, greift er erst gar nicht an, so die Theorie. Das zählt militärisch zur strategischen Ebene. Die Hoffnung hinter dieser Abschreckungsstrategie ist also, dass aus Angst vor der großen, womöglich absoluten Zerstörung keine Seite angreift.

Daneben gibt es eine substrategische Ebene, zu der Gefechtsfeldwaffen und taktische Waffen gehören. Das können auch Atomwaffen sein, wie sie in Ramstein stationiert sind, sagt Frank Sauer. Bei den taktischen Waffen sei es so, dass sie auf dem Gefechtsfeld einsetzbar sein sollen, um zum Beispiel eine massive konventionelle Überlegenheit auszugleichen.

Frank Sauer macht das an einem, wie er selbst sagt, plakativen Beispiel deutlich: "Wenn der Feind mit 1.500 Kampfpanzern anrollt, könnte man darauf unter Umständen eine kleinere Atombombe werfen, um massiven Schaden auf dem Gefechtsfeld zu erzeugen." Diese Waffen, betont der Politikwissenschaftler, dienen zwar auch der Abschreckung, allerdings auf einer niedrigeren Ebene als die strategischen Waffen, die über Achttausende Kilometer weit fliegen und riesige Schäden verursachen können.

Verstärkt der Zugang zu Atomwaffen die Sicherheit eines Landes?

Ohne die USA hätte Deutschland keinen Zugriff mehr auf diese Atomwaffen. Zwar verfügen neben den USA und Russland auch Großbritannien und Frankreich über Atomwaffen, allerdings haben die beiden europäischen Staaten ausschließlich große strategische Atomwaffen, die sich nicht als potenzielle Gefechtsfeldwaffen eignen, erklärt der Politikwissenschaftler. Zudem äußert er Zweifel an der internationalen Solidarität.

"Das Abschreckungskonzept funktioniert einfacher fürs eigene Land, weil es da um die eigene Existenz geht. Aber würde man auch für ein anderes Land, das 300 Kilometer entfernt ist, bis zum Äußeren gehen?"
Frank Sauer, Universität der Bundeswehr in München

Russland hingen, so Frank Sauer weiter, verfügt über eine enorme Anzahl dieser Waffen in allen Größenordnungen und mit allen möglichen Trägersystemen. Im Zweifel, so fasst der Politikwissenschaftler die russische Haltung zusammen, sei man bereit, diese Waffen einzusetzen.

Angesichts der aktuellen Haltung der USA unter Präsident Trump spricht sich Frank Sauer dafür aus, dass Deutschland selbst über solche Waffen verfügt. Denn um wirklich glaubwürdig zu sein, müsse Deutschland vergleichbar stark auftreten beziehungsweise dem Gegner, also Russland, drohen können, meint Frank Sauer.

"Es reicht eigentlich, wenn Russland ein Prozent Restunsicherheit hat, ob diese Waffen nicht doch zum Einsatz kommen."
Frank Sauer, Universität der Bundeswehr in München

Dass mit Atomwaffen ein Abschreckungseffekt einhergeht, ist längst nicht bewiesen, argumentiert hingegen Belit Onay. Der Grünenpolitiker ist Oberbürgermeister von Hannover und Mitglied der Mayors for Peace (dt. Bürgermeister für Frieden). Die internationale Organisation hat sich in Hiroshima gegründet, der ersten Stadt, die Ziel eines Atomwaffenabwurfes wurde.

Atomwaffenbesitz unterliegt internationalen Recht

Belit Onay ist also qua Amt gegen Atomwaffen. Die aktuelle Debatte besorgt ihn. Er bezeichnet sie aber auch als "Scheindebatte" mit möglicherweise "fatalen Kosten". Aus seiner Sicht seien die Sicherheitsrisiken viel größer als das Sicherheitsgefühl, das mit Aufrüstung auf atomarer Ebene einhergeht.

Wenn Belit Onay gegen Atomwaffen in und für Deutschland argumentiert, verweist er auf die rechtliche Lage. "Deutschland darf gar keine Atomwaffen haben", sagt der Oberbürgermeister und nennt mehrere bindende internationale Verträge, die Deutschland unterzeichnet hat, darunter den globalen nuklearen Nichtverbreitungsvertrag. "Aus diesem Vertrag müssten wir dann austreten. Das hat bisher nur ein einziges Land gemacht: Nordkorea."

"Wenn Deutschland Atomwaffen haben wollte, müsste es erst mal tonnenweise internationales Recht brechen."
Belit Onay, Grüner Bürgermeister von Hannover

Darüber hinaus ist Belit Onay überzeugt, dass sich die aktuelle weltpolitische Lage oder das Verhältnis zu Russland nicht dadurch verbessern ließen, dass ein Land, in dem Fall Deutschland, plötzlich Atomwaffen hat. "Es handelt sich um ein globales Problem, deshalb kann eine Antwort nur global ausfallen können", sagt er.

Abrüstung oder Abschreckung?

Was aber tun angesichts der unvorhersagbaren weltpolitischen Sicherheits- oder auch Bedrohungslage? Belit Onay plädiert für die globale atomare Abrüstung. Als Grundlage dafür sieht er den Atomwaffenverbotsvertrags, dem die Mehrheit der Staaten weltweit angehören. "Jetzt muss es darum gehen, dass die Atommächte sich diesem anschließen."

"Die Frage der Abschreckung ist eine fatale Sicherheitsannahme, weil die Nutzung von Nuklearwaffen fatale, nicht kalkulierbare Konsequenzen und Kollateralschäden mit sich bringt."
Belit Onay, Grüner Bürgermeister von Hannover

Offenbar scheint Belit Onay diesen Ansatz nicht für gänzlich unrealistisch zu halten. Er verweist auf Trump, der signalisiert habe, über atomare Abrüstung sprechen zu wollen, alleine weil Atomwaffen riesige Kosten verursachen.

Frank Sauer hingegen argumentiert entgegengesetzt. An sich sei er auch gegen Atomwaffen. "Mit Nuklearwaffen können wir uns innerhalb kürzester Zeit als Spezies einfach vernichten", sagt er. Das Problem ist seiner Ansicht aber: Wenn man nicht selbst über diese Waffen verfügt, ist man beliebig erpressbar.

Daher gibt es für ihn nur einen logischen Schluss: Das Gegenüber müsse Angst verspüren, dass es selbst aufhört zu existieren, wenn es eine bestimmte Grenze überschritten werde. Denn genau dabei gehe es bei Atomwaffen, sagt Frank Sauer: "Es geht um die Angst vor der Vernichtung."

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Abschreckung
Braucht Deutschland jetzt Atomwaffen?
vom 10. März 2025
Moderation: 
Marcel Bohn
Gesprächspartner: 
Frank Sauer, Universität der Bundeswehr München
Gesprächspartner: 
Belit Onay (Grüne), Oberbürgermeister von Hannover