Nachrichten informieren uns, aber zu viele negative News können uns auch überfordern. Karyna lebt in Berlin und ist Jüdin. Die aktuelle Lage in Nahost nimmt sie sehr mit. Leonie Wunderlich forscht dazu, wie wir Nachrichten bewusst konsumieren.
Klimawandel und Naturkatastrophen, der seit über anderthalb Jahren andauernde Krieg gegen die Ukraine und nun der entflammte Krieg in Nahost, dazwischen Erdbeben, unter anderem in der Türkei und Afghanistan. Das ist nur eine kleine Aufzählung der verheerenden Nachrichten, die uns in den letzten Monaten erreicht haben. Zu all diesen Ereignissen gibt es Meldungen, Berichte, Bilder. Es ist ein riesiges Privileg, dass wir uns so gut informieren können. Gleichzeitig kann uns diese Flut an Informationen auch überrollen.
Nachrichten bewusst konsumieren, um sich selbst zu schützen
Eine Antwort auf die gefühlte Unmöglichkeit, sich den News zu entziehen, ist, sich ihnen tatsächlich zu entziehen, sagt Leonie Wunderlich, Junior Researcher Mediennutzung am Leibniz-Institut für Medienforschung. In der Fachsprache heißt das News Avoidance. Laut dem Digital News Report des Reuters Institutes vermeiden von allen Altersgruppen eher junge Erwachsene Nachrichten zeitweise bewusst.
"Ein Hauptgrund dafür, warum Menschen Nachrichten meiden, ist, weil sich die Inhalte negativ auf den eigenen Gemütszustand auswirken."
News Avoidance bedeutet nicht zwangsläufig, dass komplett auf Nachrichten verzichtet wird, betont Leonie Wunderlich. Vielmehr gibt es Varianten und Abstufungen der Nachrichtenvermeidung beziehungsweise des bewussten (Nicht-)Konsums von Nachrichten:
- Verzicht auf Nachrichten für ein paar Stunden oder einen längeren Zeitraum
- nur bestimmte News auslassen, andere Themen aber weiterverfolgen
- bestimmte Nachrichten-Apps löschen oder Push-Notifications abschalten
- Nachrichten zu bestimmten Zeiten und von ausgewählten Quellen konsumieren
- Nachrichten bewusst und komplett vermeiden
Immer auf dem neusten Stand sein wollen
Karyna stammt aus der Ukraine und ist Jüdin. Aufgrund der aktuellen Lage sowohl in ihrem Heimatland als auch in Israel, wo sie Freundinnen, Freunde und Verwandte hat, muss sie immer wieder für sich austarieren, welche und wie viel Nachrichten sie schaut und liest. Oft sind die Nachrichten für sie persönlich schwer zu ertragen, belasten sie emotional, wie sie erzählt. Gleichzeitig will sie immer auf dem neuesten Stand bleiben, um zu wissen, was vor Ort passiert.
So war es auch am Tag des Angriffs auf die Ukraine, erinnert sich Karyna: "Ich hatte an dem Tag einen positiven Corona-Test bekommen, das heißt, ich hatte sehr viel Zeit, mir eine Horrornachricht nach der anderen reinzuziehen." Bis irgendwann der Gedanke kam: Ich kann die Welt nicht retten, indem ich diese Nachrichten konsumiere und kommentiere, ich muss mich davon abgrenzen.
Eine Pause von Newstickern und Feeds
Karyna entschloss sich, etwas Positives zu machen. Also ging sie in die Küche und kochte Wareniki, ukrainische Teigtaschen. Den ganzen Tag lang. "Die haben mich einerseits abgelenkt, andererseits habe ich mich über dieses Essen mit meinem Heimatland verbunden gefühlt", sagt sie.
"Ich versuche meine Kapazitäten zu schützen, damit ich meinen Verwandten, die vor Ort sind, Kraft geben kann."
Nachrichten zu konsumieren gehört zu Karynas Alltag. Normalerweise versucht sie, sich morgens und abends zu informieren. Wenn aber besonders viel los ist, sagt sie, neigt sie doch immer wieder dazu, kontinuierlich Nachrichten zu lesen und auf X (früher Twitter) zu sein, um einen möglichst guten Überblick zu bekommen. Und dann schwenkt sie wieder um, legt das Handy zur Seite, macht eine Pause von Newstickern, Feeds und Postings.
Ein anderer Weg, um sich nach dem Nachrichtenkonsum nicht hilflos oder ohnmächtig zu fühlen, besteht für Karyna darin, aktiv zu versuchen, etwas beitragen. Das kann bedeuten, bestimmte Organisationen zu unterstützen oder auf Demos zu gehen.
Wissen, wie Nachrichten funktionieren
Sich bewusst zu machen, dass wir den negativen Nachrichten nicht ausgeliefert sind, hält auch Leonie Wunderlich für wichtig. Ihrer Meinung nach würde es helfen, wenn Menschen wüssten, wie Nachrichten funktionieren, also dass es vor allem negative Schlagzeilen in die Welt schaffen. Das bedeute aber nicht, dass immer nur alles schlecht laufe überall.
"Mit dem Smartphone in der Tasche sind wir 24 Stunden am Tag online. Das bedeutet natürlich auch, dass wir potentiell Tag und Nacht mit Nachrichten in Berührung kommen können."
Die Kommunikationswissenschaftlerin empfiehlt zu prüfen, welche Punkte des News Avoidance für einen selbst nützlich sein könnten, also sich zum Beispiel auf ausgewählten Sendern oder über bestimmte Profile mit Nachrichten zu versorgen. Sie empfiehlt auch, Push-Nachrichten auszuschalten und nur zu einer ausgewählten Tageszeit Nachrichten zu lesen oder zu hören. So, sagt Leonie Wunderlich, minimieren wir so gut es geht die Gefahr, von negativen Schlagzeilen überrascht und überwältigt zu werden.
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