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Am 20. Juli 2024 jährt sich Stauffenbergs Hitler-Attentat zum 80. Mal. Der Historiker Rolf-Ulrich Kunze mahnt: Lehren lassen sich, wenn überhaupt, nicht aus dem NS-Widerstand ziehen, sondern aus der Zeit davor. Wir müssen jetzt die Demokratie verteidigen, damit Widerstand gar nicht erst nötig wird.

Adolf Hitler töten, dem Terror-Regime der Nationalsozialisten ein Ende setzen. Das war das Ziel der Widerstandsgruppe um den Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg vor 80 Jahren. Am 20. Juli 1944 zündete er im Führerhauptquartier eine Bombe. Aber das Attentat und der Staatsstreich scheiterten.

Die Vergeltung des NS-Regimes, die folgte, war unvorstellbar grausam. Sie richtete sich gegen die Verschwörer und auch gegen deren Familien. Insgesamt wurden damals mehr als zweihundert Menschen getötet, mehrere hundert verhaftet.

"Die Tradition des Widerstands gegen Hitlers Zivilisationsbruch wird missbraucht, wenn wir unsere Passivität bei der Verteidigung des demokratischen Verfassungsstaats hinter ihr moralisch verstecken."
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker

Dieses Attentat ist bis heute ein bekanntes Symbol für den Widerstand gegen die NS-Diktatur. Wie erinnern wir uns daran und was heißt das für uns heute? Auf diese zwei Fragen antwortet der Historiker Rolf-Ulrich Kunze in seinem Vortrag anlässlich des Jahrestages.

Im ersten Teil seines Vortrags analysiert er die Erinnerungspolitik in beiden deutschen Staaten und später der BRD, also die Art und Weise, wie wir des NS-Widerstands gedenken.

Missbrauch des Gedenkens an NS-Widerstand

Er kritisiert, dass die Erinnerung an den Widerstand funktionalisiert wurde und wird, um nicht zu sagen: missbraucht – etwa zur Gewissensberuhigung oder für politische Zwecke. Auch weist er darauf hin, dass es nicht den einen NS-Widerstand gab, sondern viele unterschiedliche einzelne Akteur*innen, Gruppen und Motive.

"Eine Diktatur verhindert man nur, indem und solange man die Demokratie erhält."
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker

Wenn wir uns wirklich mit dem NS-Widerstand auseinandersetzen, legt Rolf-Ulrich Kunzes Vortrag nahe, müssten wir jeden Tag dankbar dafür sein, dass wir hierzulande aktuell nicht vor die Entscheidung gestellt sind, ob wir Widerstand leisten sollten oder nicht.

"Lassen Sie uns daher dort, wo wir Einfluss nehmen können, jetzt etwas tun, damit niemand später Widerstand leisten muss."
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker

Wir müssen uns daher um unsere Landesverfassungen und unser Grundgesetz kümmern, mahnt der Historiker. Dazu gehöre unter anderem auch die "Debatte über einen Verbotsantrag gegenüber einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Partei mit Scharnierfunktion zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus".

"Die Weimarer Republik ist unter anderem an einem Mangel an Demokratieakzeptanz der Deutschen und insbesondere eines Teils der politischen Klasse gescheitert."
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker

"Hitler wurde im März 1933 mit 43,9 Prozent gewählt und durch die Deutschnationalen an die Macht gebracht", erinnert er. Uns heute sieht er in einer Demokratiekrise.

Die Demokratie braucht Schutz

Seines Erachtens ist es dringend an der Zeit, "mit allen Mitteln der Zivilgesellschaft, der repräsentativen Politik sowie des Rechts- und Verfassungsstaats einschließlich des Parteiverbots die Todfeinde der Demokratie zu bekämpfen, solange es möglich ist." Warum, das erklärt er im Vortrag.

"Vieles am späten Weimar sollte uns ganz direkt ansprechen und tief erschrecken. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber auch die Ähnlichkeiten sind noch schlimm genug."
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker
Rolf-Ulrich Kunze, lehrt Neuere und neueste Geschichte am Karlsruher Institut für Technologie
© Karlsruher Institut für Technologie
Rolf-Ulrich Kunze, lehrt Neuere und neueste Geschichte am Karlsruher Institut für Technologie

Rolf-Ulrich Kunze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Department für Geschichte des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Seinen Vortrag mit dem Titel „Wehrhafte Demokratie statt später Widerstand – Wie verteidigen wir unseren Verfassungsstaat?" hat er am 10. Juli 2024 im Generallandesarchiv Karlsruhe gehalten - und zwar auf Einladung des Vereins Lernort Kislau und des Fördervereins Forum Recht.

Empfehlungen aus dem Beitrag:
  • www.verfassungsblog.de
Shownotes
80 Jahre Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944
Wehrhafte Demokratie statt später Widerstand
vom 18. Juli 2024
Moderation: 
Katrin Ohlendorf
Vortragender: 
Rolf-Ulrich Kunze, Historiker, Karlsruher Institut für Technologie
  • Einführung ins Thema und Infos zum Vortrag
  • Beginn des Vortrags - Einleitung
  • Teil I: Erinnerungspolitik - Der funktionalisierende Umgang mit dem NS-Widerstand in Deutschland von 1945 bis heute
  • Teil II: Lehren aus dem NS-Widerstand und Weimar - Was wir tun können, um die Demokratie zu verteidigen
  • Abmoderation und Hörtipps
Quellen aus der Folge:
  • Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur - Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln/Berlin 1969.
  • Peter Hoffmann: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Stuttgart 1992.
  • Michael Burleigh: Die Zeit des Nationalsozialismus - Eine Gesamtdarstellung. Frankfurt am Main 2000.
  • Gerd R. Ueberschär: Stauffenberg - Der 20. Juli 1944. Frankfurt am Main 2004.
  • Eugen Gerstenmaier: Streit und Friede hat seine Zeit - Ein Lebensbericht. Frankfurt am Main u. a. 1980.
  • Diese Liste ist eine Auswahl aller Quellen im Vortrag. Ihr wollt alle Quellen? Schreibt an hoererservice@deutschlandradio.de, Betreff: An DLF Nova Hörsaal