Vor 1000 Tagen hat Russland auf breiter Front die Ukraine angegriffen und damit für Millionen Menschen alles verändert – auch für Maria. Sie flüchtete nach Deutschland, ihre Hoffnung auf Frieden ist klein. Dabei gebe es Wege, sagen Wissenschaftler.
Maria aus Kiew erinnert sich noch genau an den 24. Februar 2022. Der Tag, an dem Russland der Angriffskrieg auf die Ukraine begann, war auch ihr Geburtstag und in diesem Jahr zugleich der schrecklichste Tag ihres Lebens, erzählt sie. Alle, die sie kennt, hätten unter Schock gestanden und nicht verstanden, was passiert.
"Mir war nicht bewusst, was passiert. Krieg? Ich kannte nur diesen Begriff nur aus Büchern und einigen Filmen."
Krieg kannte sie bis dahin nur aus Büchern und Filmen. Noch am selben Tag sei Maria zu ihren Eltern gefahren, sagt sie. Die Fahrt habe Stunden gedauert, die Straßen seien voller Menschen und Panzer gewesen.
Seit zweieinhalb Jahren lebt Maria in Deutschland. Das Leben hier sei ruhiger, aber die Distanz zur Heimat mache es schwieriger. Ihr Handy sei voll mit Apps, mit denen sie ständig verfolge, was in der Ukraine geschieht. "Gibt es irgendwo Bombardierungen oder Alarm, dann muss ich schauen, ist es in meiner Stadt, sind meine Mitmenschen betroffen", sagt sie.
Ihre Bekannten in Kiew hätten sich an die Situation gewöhnt. Doch die Verzweiflung bleibe, da sie nichts an der Situation ändern können. Sie leben ihren Alltag, sagt sie – stets mit der Angst vor Bombardierungen oder Drohnenangriffen. In dieser Atmosphäre möchte Maria nicht zurück. Sie wünsche sich nichts als Frieden, doch wie es den geben kann, das weiß sie nicht. Mehr Waffenlieferungen an die Ukraine? Maria sei immer gegen Krieg und Waffen gewesen, aber in dieser Situation mit all dem Leid an der Zivilbevölkerung scheint es keinen Ausweg zu geben.
Krieg bringt uns an den Rand einer nuklearen Eskalation
Maria ist eine von über einer Million Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland. Viele leben in prekären Verhältnissen und haben Angehörige, die kämpfen oder getötet wurden, erklärt Jonas Drieger vom Frankfurter Friedensforschungsinstitut. In der Ukraine mache sich Frustration breit, dass die Unterstützung des Westens abnimmt.
"Der Krieg schürt auf beiden Seiten sehr viel Hass, der in Russland die Autokratie verschärft und uns an den Rand einer nuklearen Eskalation bringt."
Die Ukraine habe sich bislang vor allem dank zweier Faktoren gegen Russland verteidigen können: Der starke Patriotismus der Bevölkerung, die sich gegen einen brutalen Angriffskrieg wehrt und auch Territorium zurückerobern möchte. Zudem ermögliche die westliche Unterstützung mit Geld und Waffen, dem Druck standzuhalten, Russland Schäden zuzufügen und in Zukunft vielleicht sogar ein Umdenken im russischen Regime herbeizuführen.
Waffenlieferungen stärken die Position der Ukraine
Um die Ukraine in eine starke Verhandlungsposition zu bringen hat US-Präsident Joe Biden jetzt Waffen erlaubt, die Angriffe auf Ziele in Russland ermöglichen. Die Gesamtlage werde das nicht grundlegend beeinflussen, aber kleinere wichtige Aspekte, glaubt Jonas Drieger. Die Ukraine könne nun gezielt militärische Infrastruktur angreifen, die Russland bisher hinter die Grenzen verlagert hat, und den Krieg so symmetrisieren. Russland hat bei vermehrten Angriffen mit nuklearer Vergeltung gedroht.
"Verhandlungen sind im Normalfall nur dann erfolgreich, wenn mindestens eine Seite denkt, ihre Ziele dadurch besser zu erreichen",
Für einen Frieden sei entscheidend, dass Russland erkennt, militärisch keine weiteren Erfolge zu erzielen und sich nur selbst schadet. Beide Seiten wollen von diesen Zielen nicht ablassen. "Verhandlungen sind im Normalfall nur dann erfolgreich, wenn mindestens eine Seite denkt, ihre Ziele dadurch besser zu erreichen", so der Forscher. Waffenlieferungen würde dabei die Position der Ukraine stärken, um Druck auf Russland auszuüben und Verhandlungen wahrscheinlicher zu machen.
Ukraine-Unterstützung braucht klare Ziele
Kritiker, die Waffenlieferungen für nutzlos halten, entgegnet Jörg Drieger mit einem historischen Vergleich: Die USA unterstützten die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, um die deutsche Armee abzuwehren und das Kriegsende herbeizuführen. Zu sagen, man solle aufhören, Waffen zu liefern, wäre damals genauso unsinnig gewesen.
"Was es auch braucht, sind Optionen aufzuzeigen, wie man Feindseligkeiten runterfahren kann. Es diplomatische Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel versuchen, China weiter einzubinden."
Der Friedensforscher fordert eine andauernde Unterstützung mit klaren Zielen. Wenn das Töten beendet werden soll, dann muss Russland erkennen, dass es seine Ziele nicht durch Waffengewalt erreichen kann. Gleichzeitig sollten Wege aufgezeigt werden, Feindseligkeiten zu reduzieren, etwa durch diplomatische Optionen wie Chinas Einbindung.
Gefährliche Normverschiebung bei ausbleibender Unterstützung
Deutschland könne viel tun, um zu helfen. Angesichts des anstehenden Wahlkampfs sollten Wählerinnen und Wähler aller Lager, die Politik dazu drängen, konkret und ernsthaft über die Ukraine zu sprechen. Statt nur Verhandlungen zu fordern, müssten klare Vorstellungen geäußert werden. "Nicht einfach nur zu sagen, wir brauchen jetzt Verhandlungen, sondern auszubuchstabieren was das bedeutet, wenn man von der Ukraine fordern will, dass sie Zugeständnisse macht", so der Friedensforscher.
Wenn Länder der westlichen demokratisch-liberalen Wertegemeinschaft der Ukraine raten würden, Gebiete abzugeben oder die Unterstützung zu entziehen, würde dies signalisieren, dass gewaltsame Angriffskriege akzeptabel sind. Das könne eine gefährliche Normverschiebung bedeuten. Auch aus einer egoistisch-nationalistischen Sicht wäre das nicht im deutschen Interesse.
"Aus der systematischen Forschung wissen wir, gewaltsam erzwungene Gebietsabtretungen vergiften das politische Klima zwischen Staaten meistens auf Generationen hinaus."
Eine Forderung des Westens, Gebietsabtretungen von der Ukraine zu verlangen, würde das Land in eine schwierige Lage bringen. Die Ukraine benötigt eine fähige Armee und Unterstützung, um sich zu verteidigen und gut zu verhandeln. Zugeständnisse würden starken Druck von der Bevölkerung erzeugen, die weiterhin gegen Gebietsabtretungen ist. Sie hätten auch andere Folgen: Gewaltsam erzwungene Gebietsabtretungen vergiften das politische Klima zwischen Staaten meistens auf Generationen hinaus, warnt der Forscher.
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