Zulauf bei ParteienPolitikwissenschaftler über die zunehmende politische Aktivität
Politik ist, was wir draus machen – das scheint das Motto der Stunde zu sein. Tausende gehen auf die Straße, auch Parteimitgliedschaften sind für viele wieder eine Option. Die Grünen verzeichnen einen Spitzenzuwachs an Mitgliedern, ebenso wie die AfD.
Die Menschen in Deutschland werden politischer. Diesen Eindruck vermitteln die Bilder und Aufnahmen der deutschlandweit stattfindenden Demos gegen Rechtsextremismus und für ein demokratisches Deutschland. Alleine im Januar 2024 sind für diese Anliegen über 900.000 Menschen auf die Straße gegangen. Der Eindruck schlägt sich auch in anderen Zahlen nieder: Die Parteien gewinnen an Mitgliedern dazu. Ebenfalls im Januar 2024 haben die Grünen nach eigenen Angaben 4.500 neue Mitglieder dazubekommen. Die Linkspartei meldet über 1.000 neue Mitglieder.
Bewusstsein für Demokratie neu entdecken
Einem NDR-Bericht zufolge ist die Recherche des Netzwerks Correctiv "Neue Rechte: Geheimplan gegen Deutschland" ein ausschlaggebender Faktor, eine Partei und damit demokratische Werte zu unterstützen.
"Wir hatten das Gefühl, die Stimmung wird aufgeputscht, und genau in dem Moment kam die Correktiv-Recherche. Da haben wir gedacht: Wie können wir etwas dagegen tun?"
Das Bedürfnis, mitgestalten zu können
Kubilay Dertli ist der FDP beigetreten. Er vermittelt Fachkräfte aus dem Ausland in deutsche Unternehmen und setzt sich auch aus gesamtwirtschaftlicher Hinsicht für kulturelle Vielfalt in Deutschland ein.
"Ich glaube, dass durch diese Recherche endgültig klar geworden ist, dass nichts selbstverständlich ist und dass es in diesem Land mitunter wirklich krude Ideen gibt, die nicht einfach verschwinden, wenn man es laufen lässt."
Doch nicht nur die Bewegung gegen Rechtsextremismus ist größer geworden. Auch die AfD verzeichnet nach eigenen Angaben in den letzten Wochen neue Mitglieder. Intensivpflegerin Antje Hebel ist eine von ihnen. Dass der Verfassungsschutz Teile der AfD als gesichert rechtsextrem eingeordnet hat, bezeichnet sie als "nicht ihr Thema". Sie ist mit der Gesundheitspolitik in Deutschland unzufrieden und will diese nun über die AfD mitgestalten. Die anderen Parteien seien zu starr und festgefahren, ihnen vertraue sie nicht mehr, sagt Antje Hebel.
Demokratie lebt davon, dass Menschen sie gestalten
Neben Parteieintritten in schon bestehende Parteien gründen sich auch neue Parteien. Das Bündnis Sahra Wagenknecht beschränkt derzeit, wer bei ihr eintreten darf. Auch die Werteunion um den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Hans-Georg Maaßen plant sich künftig als neue rechtskonservative Partei aufzustellen.
Außerdem planen die Aktivist*innen der Letzten Generation als sonstige politische Vereinigung bei der Europawahl anzutreten. Eine Spitzenkandidatin soll Lina Johnsen aus Leipzig werden. Ihr Ziel: Das EU-Parlament aufmischen.
"Wir haben sehr wenig zu verlieren und sehr viel zu gewinnen, wenn wir das einfach versuchen. Es ist ein Versuch, es ist ein Experiment. Und ich bin sehr motiviert, sehr gespannt, sehr aufgeregt."
Ob die Letzte Generation es schaffen wird, lässt sich kurz nach der Ankündigung noch nicht sagen. Aber die 50.000 Euro, die sie als Startkapital für ihre Bewerbung braucht, hatte sie nach wenigen Stunden zusammen.
Neugründungen und Neumitgliedschaften – in Deutschland tut sich gerade mehr als in den Jahren zuvor. In einer Parteiendemokratie, wie wir sie in Deutschland haben, sei das notwendig, erklärt Thorsten Faas, weil es für die diversen Posten und Ämter Menschen braucht, die sie bekleiden. "Insofern", fasst der Politikwissenschaftler knapp und unmissverständlich optimistisch zusammen, "ist das, was wir da sehen, definitiv eine gute Sache."