Konfliktforscher zu ChemnitzWas nach dem #wirsindmehr-Konzert passieren muss
Gewalt in Chemnitz, dann ein großes Konzert – und jetzt? Wir haben mit dem Konfliktforscher Andreas Zick über #wirsindmehr gesprochen. Er sagt: Für eine funktionierende Zivilgesellschaft müssten sich Landespolitiker anstrengen – und Geld in die Hand nehmen.
Der Erfolg des Konzerts unter dem Motto #wirsindmehr ist eine deutliche Reaktion auf die ausländerfeindliche Gewalt in Chemnitz. Am 3. September kamen rund 65.000 Besucher. Wir haben mit dem Gewalt- und Konfliktforscher Andreas Zick darüber gesprochen, wie nach diesem Moment demokratisches Engagement auf Dauer gestützt werden kann. Er leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Andreas Zick hebt die Bedeutung von langfristigem zivilgesellschaftlichem Engagement hervor.
Bei dem Konzert wurde Kontinuität bei den Kulturveranstaltungen angekündigt und Spendengelder für antifaschistische, antirassistische und zivilgesellschaftliche Initiativen gesammelt. Kultur könne in diesem Fall wirklich eine Brücke über alle politischen Linien hinweg sein, sagt Andreas Zick. Die Landesregierung in Sachsen müsse in der jetzigen Situation die Chance nutzen, die Distanz zur Zivilgesellschaft zu verringern.
Zwar gebe es in Sachsen große Programme: zum Beispiel Weltoffenes Sachsen. Das Verhältnis zwischen Landesregierung und Zivilgesellschaft sei aber distanziert, sagt Andreas Zick.
Er hat beobachtet, dass es der sächsischen Landesregierung schwerfällt, sich an die Seite zivilgesellschaftlicher Gruppen zu stellen. Das sei besonders auffällig, wenn die Regierung diese Gruppen für links hält. Es sei in der Vergangenheit in Sachsen immer wieder die Diskussion geführt worden, ob bestimmte zivilgesellschaftliche Gruppen linksextremistisch seien, obwohl diese Zuordnung nicht eindeutig sei.
"Die Landesregierung tut sich schwer, sich an die Seite zivilgesellschaftlicher Gruppen zu stellen, die sie für links hält."
In der sächsischen Bevölkerung sei eine autoritäre Vorstellung von Leitung weit verbreitet. Andreas Zick hat bemerkt, dass sie sich insbesondere auf die Staatskanzlei richten. Sie ist die oberste Landesbehörde und der Sitz des sächsischen Ministerpräsidenten. Andreas Zick sagt, dass es rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppen in dem Freistaat gerade zunehmend gelingt, diese Vorstellung von Autorität zu untergraben. Sie verbreiten das Signal: Die da oben haben die Kontrolle verloren.
Rechtspopulisten und Rechtsextremisten würden vortäuschen, für die Bevölkerung da zu sein. Das gelinge ihnen auch dadurch, dass sie im Raum präsent seien. Das müsste aber eben zivilgesellschaftlichen Strukturen und den sächsischen Politikern gelingen. Sie müssten glaubhaft vermitteln, dass zur Demokratie und ihrer gemeinsame Weiterentwicklung, eben die Bevölkerung auch dazugehört.
Am Beispiel Dresden zählt Andreas Zick auf, was dort außer Pegida noch passiert. Er nennt das Kulturbüro Sachsen, die Förderstelle für Demokratie und demokratische Foren.
"Vor Ort sind viele Gruppen dort, wo sich rechte Strukturen verfestigt haben, die Schlimmeres verhindern."
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