Zehn Jahre Opfer-Telefon des Weißen RingsOpferberaterin: Ein ruhiger Pol für Menschen in Krisensituationen
Körperverletzung, häusliche Gewalt, Sexualdelikte – die meisten Menschen, die bei der Hotline des Vereins Weißer Ring anrufen, sind Opfer eine Straftat geworden. Sandra Abels ist dort ehrenamtliche Mitarbeiterin. Seit 2015 nimmt sie mindestens drei Stunden pro Woche solche Anrufe entgegen und versucht zu helfen.
Menschen können aus den unterschiedlichsten Gründen das Opfer-Telefon des Vereins Weißer Ring anrufen. Manchen wurde das Portemonnaie geklaut, andere wurden bereits jahrelang gestalkt, wieder andere sind stark traumatisiert, weil sie körperlich oder psychisch misshandelt wurden.
"Ich versuche immer, der ruhige Pol zu sein, wenn die Menschen gerade in einer kompletten Krisensituation sind."
Während ihres Jura-Studiums hat Sandra Abels eine Anzeige des Vereins Weißer Ring entdeckt. Der Verein, der Opfern von Gewalttaten hilft, war auf der Suche nach ehrenamtlichen Mitarbeitern. Sandra sah in dieser Arbeit die Chance, etwas von ihrem juristischen Wissen weiterzugeben und anderen damit zu helfen, die sich in einer Notsituation befinden.
"Es gibt Anrufer, die haben Dinge erlebt, die kann man sich kaum vorstellen und die sind rational. Die brauchen eine klare Sachansage, was sie jetzt gerade noch tun können. Es gibt andere Menschen, denen das Portemonnaie geklaut worden ist, die kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen."
Zuerst Vertrauen aufbauen
Sandra, die die Anrufe von zu Hause aus beantwortet, hat die Erfahrung gemacht, dass es insbesondere Opfern von Sexualdelikten schwer fällt, über das zu sprechen, was sie erleiden mussten. Dass die Erstberatung anonym ist, macht es vielen Anrufern leichter sich zu öffnen, sagt sie. Viele Anruferinnen und Anrufer hätten das Gefühl, das Erlebte zum ersten Mal jemandem erzählen zu können, der sie nicht später auf der Straße trifft und weiß, was ihr oder ihm passiert ist.
Ziel: Opfer beraten und an richtige Stelle weitervermitteln
Die Aufgabe des Opfer-Telefons sieht Sandra darin, dass sie den Anrufern dabei hilft, Vertrauen aufzubauen, sodass es diesen Menschen möglich wird, mit ihr oder auch mit anderen Beratungsstellen über das Geschehene zu sprechen. Je nach Fall vermittelt Sandra die Anrufenden an Berater des Vereins Weißer Ring, die die Opfer von Straftaten vor Ort aufsuchen, oder an spezialisierte Hilfsangebote.
Sandras Wunsch ist es, dass die Hilfesuchenden das Gefühl haben, dass sie "wieder Herr über die Situation" sind.
"Ich habe immer die Hoffnung, dass die Personen Vertrauen fassen, und dass sie es schaffen, laut zu werden, und ihre eigene Sache dann auch zu verfolgen."
Sandra nimmt sich gerne die Zeit, anderen Menschen zu helfen. Auch wenn diese beispielsweise nur Dampf ablassen wollen oder eine halbe Stunde lang am Telefon weinen. Die Zeit ist nicht verschwendet, solange es der Person hinterher besser mit der eigenen Situation geht, sagt die Ehrenamtlerin.
"Es ist eine faszinierende Bandbreite, wie einzelne Menschen ganz unterschiedlich mit dem jeweiligen Stressfaktor umgehen."
Sie findet es faszinierend, wie unterschiedlich die Menschen mit ihren Problemen umgehen. Es sei wahnsinnig interessant, mit den Menschen zu sprechen. Und Sandra hofft natürlich, so erzählt sie, dass sie den Anrufenden damit auch weiterhilft. Es sei auch spannend zu sehen, wie Menschen funktionierten, wie die Gesellschaft funktioniere und wie unterschiedlich Lösungsansätze seien, die sich der Einzelne in manchen Fällen schon selbst gesucht hat.
Das Opfer-Telefon des Weißen Rings gibt es seit zehn Jahren. Zurzeit ist der Verein wieder auf der Suche nach weiteren ehrenamtlichen Mitarbeitern. Wer Interesse hat, selbst als telefonischer Berater zu arbeiten, kann sich auf der Webseite des Vereins Weißer Rings darüber informieren.
"Manche haben auch von alleine total gute Ideen, was für ihre Sachlage erst mal angemessen ist. Und manchmal muss man sie einfach nur reden lassen, dass sie sich austoben können, um ihr Stresslevel wieder runterzukriegen. Vielen hilft einfach nur Zuhören."