Mindestlohn in Werkstätten für behinderte MenschenYoutuber Lukas Krämer: "Man kann sich viele Dinge einfach nicht leisten"
Lukas Krämer hat fünf Jahre lang in Werkstätten für Menschen mit Behinderung gearbeitet – für circa 1,35 Euro pro Stunde. Mittlerweile ist er ausgestiegen und macht sich neben seinem neuen Job für einen Mindestlohn in den Werkstätten stark.
"Ich brauche nicht euer Taschengeld" – das ist der Titel eines fünfminütigen Youtube-Clips von Lukas Krämer aus Trier. Auf seinem Kanal SakulTalks weist der 27-Jährige in vielen Videos unter anderem auf die problematische Bezahlung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung hin.
Im Video berichtet Lukas beispielsweise, wie er in seinen fünf Jahren in verschiedenen Werkstätten zwischen 180 und 250 Euro verdient hat und dass er sich deshalb dazu entschlossen habe, die Werkstätten zu verlassen. Denn mit circa 1,35 Euro pro Stunde komme man nicht weit.
"1,35 Euro Stundenlohn – da muss man gucken, wie man mit dem Geld über die Runden kommt. Große Sprünge, wie mal ein Urlaub, sind auf jeden Fall nicht drin."
Lukas ist im Alter von vier Jahren an einer Hirnhautentzündung erkrankt und hat deshalb einen Sprachfehler und kann weder lesen noch schreiben. Den Schulabschluss an seiner Förderschule hat er nicht geschafft. Dank Spracherkennung und Google-Übersetzer kann er aber trotzdem Videos produzieren und seine Forderungen medienwirksam platzieren.
So hat er auch eine Petition unter dem Hashtag #Stelltunsein ins Leben gerufen, mit der er einen Mindestlohn in Werkstätten für Menschen mit Behinderung fordert. Mittlerweile haben 90.000 Menschen unterzeichnet.
Unterschätzter Wirtschaftsfaktor
Lukas will mit seiner Petition auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass der Alltag in den Werkstätten nicht nur aus Basteln und Töpfern besteht, auch wenn für die Beschäftigten arbeitsrechtlich keine Leistungsverpflichtung besteht. Er habe beispielsweise sechs Stunden am Tag Armaturen für Wasserhähne geprüft. Dabei habe man auch oft Zeitdruck bei der Arbeit. An manchen Tagen habe er beispielsweise bis zu sechs Paletten bearbeitet, erinnert sich Lukas.
"Man hat in der Werkstatt Druck. Man muss die Aufträge, die wir dort haben, zeitgemäß fertigstellen."
In Deutschland arbeiten 320.000 Menschen mit geistigen, körperlichen und psychischen Behinderungen in über 2.900 Betriebsstätten. Damit sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für beispielsweise die Auto- oder Werbeindustrie, der unterschätzt werde, sagt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünenfraktion im Bundestag.
Wenn man Autokonzerne erfolgreich bestreiken wolle, könnte man beispielsweise bei den Standorten der Lebenshilfe starten, sagt sie.
"Er macht vielen Menschen Mut"
Corinna Rüffer ist seit zwei Jahren auch die Arbeitgeberin von Lukas Krämer. Er produziert für sie unter anderem Video-Inhalte für die Sozialen Netzwerke. Seine Petition unterstützt Corinna Rüffer vollständig. Endlich gebe es auch mal eine Stimme aus den Reihen der Menschen mit Behinderung. Lukas mache damit vielen anderen Mut.
"Es gab so selten Momente, dass Menschen, denen geistige Beeinträchtigung zugeschrieben wird, selber mal aufgestanden sind und gesagt haben: Alter, jetzt ist Schluss! Und das macht Lukas Krämer."
Nicht alle sind von der Petition begeistert
Der Verein Werkstatträte Deutschland, dessen gewählter Vorstand die Interessen aller 320.000 Werkstattbeschäftigten vertreten soll, ist mit Lukas Aufruf nicht einverstanden. Vor allem, da Lukas seit einigen Jahren selbst gar nicht mehr in einer Werkstatt tätig sei und etwas für Menschen einfordere, die selbst vielleicht etwas ganz anderes wollten, sagt Katrin Rosenbaum, Vorstandsassistentin.
"Es ist nicht richtig, wenn von außerhalb jemand etwas für Menschen fordert, die vielleicht etwas ganz anderes wollen, wo wir wissen, die meisten wollen was anderes."
Ein Mindestlohn führe beispielsweise dazu, dass der wirtschaftliche Druck in den Werkstätten noch mehr ansteige. Außerdem würden die Beschäftigten mit Einführung des Mindestlohns ihre besonderen Schutzrechte verlieren, wie beispielsweise die praktische Unkündbarkeit.
Basisgeld statt Mindestlohn
Der Verein fordere deshalb bereits seit Jahren ein Basisgeld statt eines Mindestlohns. Das Basisgeld soll etwa 70 Prozent des durchschnittlichen deutschen Einkommens betragen. Vorstandsmitglied Jürgen Thewes fühlt sich deshalb vom Aufruf zum Mindestlohn übergangen, da dabei der Vorschlag eines Basisgeldes komplett außer Acht gelassen werde.
"Man unterstellt uns, wir wären blöd und könnten nicht mit den Kollegen reden. So wirkt das für uns. Wir haben was erarbeitet, das wird nicht respektiert, nicht wertgeschätzt."
Dass Menschen mit Behinderung unterm Strich zu wenig verdienen und nicht auf eine Grundsicherung angewiesen sein sollten, darin sind sich aber alle einig.
Ein inklusiverer Arbeitsmarkt
Zudem wollen alle, dass der Arbeitsmarkt grundsätzlich inklusiver wird. Nur rund einem Prozent der Werkstattbeschäftigten wird in Deutschland ein regulärer Job vermittelt. Corinna Rüffer musste selbst viele bürokratischen Hürden überwinden, damit sie Lukas bei sich einstellen konnte.
Lukas selbst hofft natürlich, dass seine Chefin noch lange im Bundestag bleibt, damit er seine Anstellung behalten kann und nicht wieder auf die Grundsicherung angewiesen ist. Denn mit seinem Youtube-Kanal verdient er zwar auch ein bisschen was, zum Leben reiche das aber kaum.