WM-Gastgeber 2034Wie geht es den Menschen in Saudi-Arabien?
Für die Vergabe der Fußball-WM der Männer an Saudi-Arabien steckt die Fifa viel Kritik ein. Wie ist das Leben dort wirklich? Wir haben Stimmen von Menschen vor Ort gesammelt und ordnen ein, was Kronprinz Muhammad Bin Salman mit dem Land vorhat.
Zehn Jahre sind es noch, bis Saudi-Arabien zum ersten Mal eine WM austragen wird. Die Vorfreude auf die Weltmeisterschaft der Männer 2034 ist jetzt schon richtig groß, berichtet Korrespondentin Nina Amin, die das Land bereist hat. Saudische Fußballoffizielle stellen die Entscheidung der Fifa als folgerichtig dar, schließlich habe Saudi-Arabien eine lange Fußballtradition und sei eines der erfolgreichsten Fußballländer Asiens.
"Alle anderen asiatischen Länder haben ihre Bewerbung bei der Fifa aus Rücksicht auf Saudi-Arabien zurückgenommen."
International gibt es an der Entscheidung der Fifa allerdings sehr viel Kritik. Amnesty International etwa weist darauf hin, dass die Zahl der Hinrichtungen im Land auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten ist. Human Rights Watch schreibt in einem aktuellen Bericht über die Situation der Arbeitsmigrant*innen in Saudi-Arabien, die über 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, von massiven Rechtsverletzungen. Dazu gehören demnach lange Arbeitszeiten in unerträglicher Hitze, Lohndiebstahl und unmenschliche bis mitunter tödliche Arbeitsbedingungen.
Kronprinz steht für Aufbruch und eine "harte Hand"
Sebastian Sons hält die Kritik für berechtigt. Er ist Islamwissenschaftler, hat zu Saudi-Arabien promoviert und arbeitet für den Thinktank Carpo in Bonn. Er weist gleichzeitig auf die Entwicklung im Land hin, die auf fast jeder Ebene stattfinde: politisch, kulturell und auch bei den Möglichkeiten für Frauen. Saudi-Arabien bezeichnet er immer wieder als Land der Widersprüche.
Die Veränderungen im Land führt der Islamwissenschaftler auf Mohammed bin Salman zurück, der vom saudischen König 2017 zum Kronprinz und 2022 auch zum Premierminister ernannt wurde. Er hat eine sogenannte Modernisierungsagenda 2030 auf den Weg gebracht und setzt sie spürbar um.
"Gerade die junge Bevölkerung hat das Gefühl, sehr viel stärker an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft teilnehmen zu können als früher."
Ziel der Modernisierungsagenda 2030 sei es, zum einen Saudi-Arabien unabhängiger vom Erdöl zu machen. Denn nach wie vor stammt der Großteil der Einnahmen des Landes aus dem Ölgeschäft, erklärt Sebastian Sons.
Zum anderen gehe es um gesellschaftliche Änderungen und den Fokus auf junge Menschen. Heißt: ihnen kulturelle und sportliche Angebote zu ermöglichen, die vor zehn, fünfzehn Jahren nicht vorstellbar waren, wie Konzerte, Festivals, Kinos. Aber es geht auch darum, mehr Leistungsbereitschaft von jungen Menschen einzufordern, ergänzt der Islamwissenschaftler.
Kritik gegen die Führung wird unterbunden
Gleichzeitig aber nehmen politische Repressionen zu, sagt Sebastian Sons. "Unter Mohammed Bin Salman hat sich die Macht noch mal sehr viel stärker auf ihn, auf das Königshaus konzentriert." Kritik hingegen werde unterbunden.
Kritische Stimmen hat auch ARD-Korrespondentin Nina Amin auf ihrer Recherchereise nicht zu hören bekommen, außer von einer Frauenrechtlerin, die einst inhaftiert war und nur offen mit der ausländischen Journalistin gesprochen hat, als das Mikrofon ausgeschaltet war.
"Öffentliche Kritik ist nicht erwünscht und die wird auch niemand wagen."
Dennoch hat sie die Grundstimmung bei den Menschen, die sie auf der Straße getroffen hat, als positiv wahrgenommen, erzählt Nina Amin. Auch hier also wieder: Widersprüchlichkeit.
Die meisten Frauen, erzählt sie, sind in der Öffentlichkeit immer noch vollverschleiert, in Cafés jedoch legen sie die Schleier oft ab. Frauen, die sich für gemeinsamen Sport im Park treffen und die Nina Amin bei ihrer Reise getroffen hat, seien ganz unterschiedlich gekleidet gewesen: von eng anliegenden Sportklamotten bis hin zum Kopftuch.
"Das lockerere Auftreten der Frauen wird toleriert. Doch wenn es hart auf hart kommt, können die Frauen dafür belangt werden, wie sie sich öffentlich zeigen."
Das wird toleriert, sagt unsere Korrespondentin, trotzdem könnten die Frauen dafür aber belangt werden. Und noch mehr Widersprüchlichkeit: Ausgerechnet die Frauen sind es, auf die der Kronprinz politisch und wirtschaftlich setzt. Warum das so ist, erklärt Sebastian Sons im Podcast.
Ob die Entscheidung der Fifa, Saudi-Arabien zum Gastgeber der WM 2034 zu machen, richtig war, ist eine sportpolitische Debatte, sagt der Islamwissenschaftler. Er sieht die WM in jedem Fall als Chance für das Land, die saudische Gesellschaft und die internationale Politik.
"Man kann Saudi-Arabien für viele Dinge kritisieren, man darf aber nicht vergessen, dass das Land eine aufstrebende Mittelmacht ist, die was Wirtschaft und politischen Einfluss anbelangt unersetzlich geworden ist". mahnt Sons. Und mit dieser Macht müsse man sich ernsthaft befassen.