Wissenschaft und PolitikDie Macht des Wissens als Gefahr für die Demokratie
Politik ist auf Expertise angewiesen – gerade bei komplexen Herausforderungen wie etwa der Corona-Pandemie. Wenn Expert*innen-Rat aber mehr Macht bekommt als die Vermittlung widerstreitender Meinungen, Wertüberzeugungen und Interessen, dann gerät die Demokratie in Gefahr, warnt der Soziologe Alexander Bogner.
Viele politische Entscheidungen in der Corona-Krise fußen auf wissenschaftlicher Expertise. Dass Politik wissenschaftlich informiert sein sollte, darüber herrscht wohl Einigkeit – aber die Rolle der Wissenschaft muss auch Grenzen haben, argumentiert der Soziologe Alexander Bogner.
"Die Wissensgesellschaft wird ganz zentral mit einer Verwissenschaftlichung der Politik zusammengebracht."
Nicht nur in der Pandemie-Politik, auch in anderen Feldern spiele Expert*innenwissen eine immer stärkere Rolle als Entscheidungsinstanz, erläutert er in seinem Vortrag. Aber nicht alle Konflikte seien Wissenskonflikte und sollten demzufolge auch nicht als solche ausgetragen werden.
Evidenz als politische Macht
Politik beschränkt sich, so der Soziologe, eben nicht auf die richtige Beantwortung von Sachfragen. In so einer Logik würde die offene Abwägung verschiedener Handlungsoptionen durch die Konstruktion eines politischen Sachzwangs ersetzt. Und das hält er für ebenso gefährlich für die Demokratie wie Desinformation.
"Nicht nur Ignoranz, Fake-News und Verschwörungstheorien gefährden die Demokratie, auch eine naive – wenn auch verständliche – Begeisterung für Wissenschaft und Wahrheit kann gefährlich werden; und zwar dann, wenn man die Politik darauf beschränken will, den Weisungen einer Wissenselite zu folgen."
Trotz aller kritischer Betrachtung und seiner Warnung vor einer Verwissenschaftlichung der Politik schließt Alexander Bogner, dass Politik der Wissenschaft folgen "kann, soll und muss" – dies aber eben unter bestimmten Bedingungen, die er in seinem Vortrag näher erläutert.
Vortrag und Redner
Alexander Bogner forscht als Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2019 ist er außerdem Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS). Sein Vortrag "Können Politiker:innen der Wissenschaft folgen?" wurde am 2. September 2021 im Rahmen der Fachtagung "Die Zeit des Dazwischen. Was ändert sich gerade?" aufgezeichnet, die von der phil.cologne in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert wurde.