Deutsche Staatsbürgerschaft"Enttäuschung, Verblüffung, Wut" – Wie Nachfahren verfolgter Juden am Einbürgerungsrecht scheitern
Seit dem Brexit-Referendum bemühen sich viele Nachfahren deutscher Juden um die deutsche Staatsbürgerschaft und berufen sich dabei auf Artikel 116 des Grundgesetzes. Doch in den meisten Fällen werden die Anträge aus formalen Gründen abgelehnt. Nick Courtman ist selbst betroffen.
In der NS-Zeit haben viele Jüdinnen und Juden Deutschland verlassen. Viele von ihnen haben dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft verloren – weil die Nazis sie ihnen aberkannt haben oder weil sie Staatsbürger eines anderen Landes geworden sind und ihren deutschen Pass dadurch verloren haben. Die Nachkommen dieser Menschen besitzen deswegen auch keinen deutschen Pass. Eigentlich könnten sie aber einen bekommen, sagt das Grundgesetz. Doch vielen jüdischen Nachfahren wird er aus formalen Gründen verweigert.
Nick möchte den deutschen Pass
Einer von ihnen ist Nick Courtman, Ende 20, der gerade in Cambridge seine Doktorarbeit in Germanistik schreibt. Er hat schon ein paar Jahre in Berlin gelebt und möchte das gerne in Zukunft wieder tun. Problem: Nach der aktuellen Regelung würde er auf jeden Fall abgelehnt. Deshalb hat Nick auch noch keinen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft gestellt.
"Wenn es 'nur' der Versuch wäre, den deutschen Pass zu bekommen, wäre es weniger Arbeit. Aber die historischen Hintergründe der bestehenden Ausschlüsse zu recherchieren, nimmt derzeit den Großteil meiner Zeit in Anspruch."
Nick kennt sich mit den Regelungen in Deutschland sehr gut aus, hat sich dazu durch das Bundesarchiv in Koblenz gewühlt und mit deutschen Politikerinnen und Politikern gesprochen. Außerdem ist er in der Interessensgruppe "Article 116 Exclusions Group" aktiv, der inzwischen über 200 Personen angehören. Die Mitglieder finden, Deutschland gehe mit ihnen und dem Thema sehr schlecht um.
Seit dem Brexit hat die Diskussion noch mal an Bedeutung gewonnen. In der "Article 116 Exclusions Group" sind aber nicht nur Britinnen und Briten (etwa zwei Drittel), sondern auch Menschen etwa aus den USA, Israel, Südafrika, Thailand, Frankreich und Spanien.
Nicks Familie auf der "Ausbürgerungsliste"
Sein Urgroßvater habe damals schon früh verstanden, dass er fliehen musste, erzählt Nick. Bereits Anfang 1937 wanderte der mit seiner Familie nach England aus. Zwei Jahre später habe dann ein Gestapo-Beamter in Berlin einen Antrag auf Ausbürgerung der Familie gestellt. Im Juni 1939 wurde diese vollzogen – durch Veröffentlichung ihrer Namen in einer sogenannten "Ausbürgerungsliste".
"Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern."
Die Formulierung "auf Antrag" versteckt allerdings sehr viele Ausnahmeregelungen – etwa die, dass Juden, denen die deutsche Staatsbürgerschaft nicht aberkannt wurde, weil sie in früheren Jahren des Hitler-Regimes ausgereist sind, kein Anrecht haben. Nicks Urgroßvater wurde aber ja nachweislich die Staatsbürgerschaft 1939 aberkannt. Bei Artikel 116 GG verfahre man allerdings so, erklärt Nick, dass "die Abkömmlinge nur dann einen Anspruch haben, wenn sie gemäß dem zum Zeitpunkt ihrer Geburt geltenden Staatsangehörigkeitsrecht die deutsche Staatsangehörigkeit per Abstammung erworben hätten".
Staatsangehörigkeitsrecht zum Zeitpunkt der Geburt ist entscheidend
Nicks Vater wurde 1952 geboren – als eheliches Kind einer ausgebürgerten Deutschen und eines Briten. Die deutsche Staatsbürgerschaft hätte er nach damals geltendem Recht aber nur von einem deutschen Vater übertragen bekommen können, nicht von der Mutter, also hatte er keinen Anspruch darauf. Und auch Nick kann deshalb keinen Anspruch für sich ableiten.
Zwangsausgebürgert wurden laut Nick Courtman etwa 320.000 bis 350.000 Jüdinnen und Juden. Viele haben ihre deutsche Staatsangehörigkeit durch eine neue Staatsangehörigkeit oder eine Ehe verloren – das zählt als freiwillig und fällt nicht unter Artikel 116.
"Anstoß war der Brexit"
Auf das Thema aufmerksam wurde Nick vor allem durch den Brexit.
"Der Anstoß war der Brexit. Da habe ich mich gefragt: Was wird aus meiner Zukunft in Deutschland? Ich setze mich ja beruflich mit der deutschen Kultur und Geschichte auseinander."
Das Verhalten der deutschen Behörden ruft bei Nick "Enttäuschung, Unverständnis und Verblüffung", inzwischen aber auch "Wut und Empörung" hervor. Er kann nicht verstehen, warum sie bei einer "Wiedergutmachungsaktion" so verfahren. Seine Nachforschungen hätten ihm gezeigt, dass man in der deutschen Verwaltung "jahrzehntelang gegen eine sinnvolle Lösung des Problems agiert“ habe.
Kritik am Bundesinnenministerium
Außer mit der AfD habe die "Article 116 Exclusions Group" Kontakt zu allen deutschen Bundestagsparteien, sagt Nick. Die Unterstützung sei spürbar. Gerade haben zum Beispiel die Grünen selbst einen Gesetzesentwurf zu dem Thema eingebracht. Auch mit der Linkspartei, der SPD und der FDP seien die Gespräche gut verlaufen. Bei der CDU/CSU sei es dagegen schwieriger, sagt Nick. Die Kommunikation mit dem Bundesinnenministerium zum Beispiel sei bisher enttäuschend. Ihrem Wunsch, als Vertreter der Betroffenen in den Lösungsfindungsprozess mit eingebunden zu werden, sei bisher nicht entsprochen worden.