Wendejahr 1989Warum die friedliche Revolution nicht gewaltfrei war
Wendejahr 1989: Das Jahr der friedlichen Revolution. Doch so gewaltfrei, wie sie dargestellt wird, war die Umbruchzeit in der DDR nicht, sagt der Historiker Martin Sabrow. In seinem Vortrag blickt er hinter die Kulissen der damaligen Ereignisse und erklärt, warum die DDR-Führung die Proteste nicht militärisch niedergeschlagen hat – obwohl sie dazu fähig war.
Der unblutige Ausgang der Bürgerproteste im Wendejahr verdeckt nur zu leicht, wie gewaltbereit der SED-Staat auf die Bürgerbewegung und Massenflucht reagiert hat, sagt der Historiker Martin Sabrow.
Wie gewaltbereit die DDR-Führung war, macht zum Beispiel die Demonstration vom 4. Oktober 1989 in Dresden deutlich: Mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken ging die Polizei gegen Protestierende vor. Auf der anderen Seite bewarfen Demonstranten die Polizei mit Pflastersteinen und zündeten ein Polizeiauto an. Weit über 1000 Menschen wurden damals verhaftet.
Bei den Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag der DDR in Berlin nahmen die Maßnahmen der DDR-Regierung zu: Neben der Polizei waren auch einzelne Hundertschaften der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen im Einsatz.
"Nirgendwo hatte sich das Regime besser auf eine gewaltsame Erstickung des Bürgerprotestes vorbereitet als in Leipzig, wo in Krankenhäusern zusätzliche Kapazitäten an Betten und Blutkonserven bereitgestellt worden waren."
Die DDR-Führung war auf Gewalt vorbereitet
Auch die bedeutende Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 mit rund 70.000 Teilnehmern, hätte ebenso gut blutig ausgehen können. Das Regime war absolut auf einen gewaltsamen Eingriff vorbereitet, erklärt Martin Sabrow. Oft wird behauptet: Den Machthabern der DDR sei nicht klar gewesen, was los war, weil es nicht zu einem solchen Einsatz kam. Das war aber nicht der Grund, sagt Martin Sabrow. In seinem Vortrag gibt der Historiker verschiedene Erklärungen und erläutert im Anschluss seine eigene Theorie.
"Der Charakter des Umsturzes von 1989/90 verdankt sich auch der zunehmenden Ächtung als politische Handlungsoption, die mit dem Aufstieg der Menschenrechte zur Leitnorm des politischen Diskurses in der westlichen Welt einhergegangen ist."
Martin Sabrow ist Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seinen Vortrag "Die Revolutionen 1989/90 zwischen Friedfertigkeit und Gewalt" hat er auf Einladung des Hörsaals am 24. September 2019 gehalten.