Was'n ScheißWarum genervt sein uns helfen kann
Ob Anspitzer, ein Hochsicherheitshandy oder die mal wieder verspätete Bahn – Nico rantet auf Tiktok über alles, was ihm über den Weg läuft. Und dafür wird er gefeiert. Emotionscoach Laura Nachreiner erklärt, was wir das Genervtsein für uns nutzen können.
Nörgeln kann uns dauerhaft krank machen. Tatsächlich schwächt es unser Immunsystem, wenn wir meckern oder uns ärgern, erklärt Wirtschaftspsychologin und Emotionscoachin Laura Nachreiner. Nicos Follower*innen scheint das nichts auszumachen. Denn sie feiern ihn auf Tiktok ausgerechnet fürs Ranten.
Mecker-Skala: von Humor bis Frustration
Nico kann sich über alles aufregen und bashen – vor der Kamera wohlgemerkt. Denn offline, sagt er von sich, ist er ein entspannter und lieber Mensch.
Der Nörgel-Tiktoker ist eine Art Kunstfigur, die aber nicht böswillig ist, erklärt Nico, sondern das alles mit Humor macht. Nicht ohne Grund steht in seiner Profilbeschreibung daher auch: "Check mich oder check out".
"Ich glaube, jeder, der meine Videos guckt und feiert, versteht, dass ich das alles mit einem Augenzwinkern meine."
Was Nico im wahren Leben wirklich nervt, sind die Verspätungen der Deutschen Bahn. Erst letztens wollte er Freund*innen besuchen und musste über zwanzig Minuten auf die Bahn warten. Wenn er davon erzählt, wird er ironisch: "Ich habe öfter das Vergnügen, einen längeren Aufenthalt am Bahnhof einzuplanen."
Ärger verlangt nach Selbstwirksamkeit
Stau, Verspätung – das sind typische Situationen, in denen Menschen meckern, schimpfen, genervt sind. Und das ist auch verständlich, sagt Emotionscoachin Laura Nachreiner.
Wir sitzen im Auto und wollen – am liebsten möglichst schnell – vorankommen. Doch wegen des Staus können wir das nicht. Die Folge ist, dass wir genervt sind oder uns ärgern. Beides gehört laut der Emotionscoachin in eine "Emotionsfamilie", die die Funktion hat, dass wir etwas an der unzufriedenstellenden Situation verändern.
"Ärger an sich ist eine Emotion, die Energie freisetzt, damit wir zu einer Veränderung, also einer Lösung kommen."
Wenn wir uns jedoch den ganzen Tag beschweren und nur genervt sind, ohne etwas zu verändern, wird die Emotion disfunktional, erklärt Laura. Das heißt, das Bedürfnis hinter der Emotion wird dauerhaft nicht gestillt. Wir werden unzufrieden, vielleicht sogar frustriert. Hinzu kommt, dass chronischer Ärger uns auch körperlich krank machen kann.
"Viele Menschen ziehen sich über viel negatives Getratsche Energie, aber die ist langfristig natürlich nicht besonders gesund."
Das heißt aber nicht, dass wir das Ranten ganz einstellen sollten. Im Gegenteil. Gezielt und vielleicht auch gemeinsam mit anderen zu meckern, hat einen erleichternden Effekt. Und wenn wir andere Menschen finden, die sich mit uns aufregen, schafft es sogar ein Gemeinschaftsgefühl. Und das kennt wohl fast jede*r: Gemeinsam in der Bahn über die Bahn schimpfen, kann Menschen zusammenbringen und sogar lustig sein.
So war es auch bei Nico. Nachdem er endlich mit der Bahn bei seinen Freund*innen angekommen war, tauschten erst mal alle Unzuverlässigkeitsgeschichten über die Bahn auf. Und dann machten sie das, weswegen sie sich getroffen hatten: einen schönen gechillten Tag.