Zuhause während der Corona-KriseZurück im Elternhaus: Eine offene Kommunikation hilft immer
Wenn der Garten der Eltern größer ist als die gesamte WG und alle Kurse online stattfinden, liegt es für viele Studierende auf der Hand, während der Corona-Krise wieder nach Hause zu ziehen. Das ist oft für beide Seiten gewöhnungsbedürftig.
So war es auch bei den Studentinnen Marie, Jaqueline und Franzi. Alle drei sind für unterschiedliche Zeit zurück in ihr Elternhaus gezogen. Zwischendurch war das für keine der Studentinnen leicht, sie fühlten sich schnell wieder ins Teenageralter zurückversetzt.
Die systemische Familientherapeutin und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für systemische Familientherapie Anke Lingnau-Carduck weiß, warum: Wenn wir in unser Elternhaus zurückkommen, fallen wir aufgrund der altbekannten Umstände mitunter in alte Muster zurück, obwohl wir das gar nicht wollen.
"Wenn wir zurückkehren in unser Elternhaus, dann sind wir natürlich auch ganz schnell wieder in den alten, familiären Mustern drin."
Angst vor dem Verlust der Freiräume
Franzi ist 25 Jahre alt, studiert Wirtschaftsmathematik in Würzburg und war gerade über sieben Wochen zuhause bei ihren Eltern. Und das, obwohl sie in den vergangenen Jahren keine einzige Nacht mehr in ihrem Elternhaus verbracht hatte. Für sie war deshalb die Angst groß, dass ihre Eltern ihr nicht mehr den Freiraum gönnen, den sie sich in den vergangenen Jahren erarbeitet hatte.
"Ich hatte Angst davor, dass sie mir nicht mehr Freiräume gönnen und dann immer wissen wollen, was ich jetzt tue und mir in alles reinreden oder sagen: 'So, jetzt ist doch mal Schlafengehenszeit'."
Auch die 24-jährige Marie ist Agrarwissenschaftsstudentin und hatte das Gefühl, plötzlich wieder Teenagerin zu sein. Nach einem Skiurlaub in Ischgl wollte sie kein Risiko für ihre Mitbewohnerin sein und lebte vier Wochen in Quarantäne auf dem Bauernhof ihrer Eltern. Danach zog sie in ihr altes Kinderzimmer.
Für sie schien alles wie früher zu sein. Man frühstücke zusammen, sei wieder mit für den Haushalt verantwortlich – alles Dinge, die sie vorher selbst und nach ihrem Zeitplan organisiert hatte.
"Ich kann mir dann einfach wieder so vor wie zu Schulzeiten. Dann frühstückt man zusammen und isst zusammen Abendbrot und muss auf einmal wieder so Haushaltsdinge machen wie Spülmaschine ausräumen, Müll rausbringen und so alles, was man als vorher selber organisiert hat.“
Und plötzlich fühlt man sich wieder wie zu Teenager-Zeiten. Auch, wenn sie den Garten auf dem Land ihrem WG-Balkon vorzog, ist sie dann doch nach einer Weile wieder zurück in ihre WG gefahren.
Elternstreitigkeiten als Unruhefaktor
Für die 25-jährige Jaqueline, die in Köln Lehramt studiert, waren es vor allem die Streitereien der Eltern, die sie zurück in die Teenager-Zeit brachten. Auch, wenn sie verstehen könne, dass man nach so vielen Jahren Ehe sich irgendwann auf die Nerven gehe, konnte sie sich nicht zurückhalten und stieg wie ein hysterischer Teenie mit in die Diskussionen ein.
"Meine Eltern kabbeln sich halt manchmal wie kleine Kinder. Ich sitz dann da und denke: 'Aah! Warum provoziert ihr euch denn schon wieder gegenseitig?' Ich fang dann an, laut zu werden und schwanke dann schnell in dieses Hysterische über und werde dann doch wieder zum Teenie."
Drei Wochen lang war sie bei ihren Eltern zu Besuch. Um ihre innere Unruhe in den ersten Wochen zu bekämpfen, fing Jaqueline an, das ganze Haus zu putzen. Nach einer Weile verflog die Unruhe, erzählt sie.
Kommunikation auf Augenhöhe
Für die Familientherapeutin Anke Lingnau-Carduck ist das Verhalten der drei Studentinnen keine Überraschung. Falle man in die alten Muster aus früheren Tagen zurück, habe mit allen anwesenden Familienmitgliedern zu tun. Diese alten Muster würden sich nicht nur im Verhalten, sondern auch auf emotionaler Ebene schnell etablieren und ehe man sich versieht, stecke man wieder in alten Verhaltensweisen, die man eigentlich schon längst abgelegt hatte, erklärt Anke Lingnau-Carduck.
"Diese alten Muster greifen in Verhalten, in Gefühle und lassen eben auch sehr affektive Reaktionen zu. Und dann finde ich mich schneller, als ich gucken kann, wieder in etwas Altem, was ich eigentlich schon verlassen hatte."
Sie rät deshalb Studierenden, die aufgrund der Krise für längere Zeit zuhause sind, ihre Gefühle anzusprechen und zu fragen: "Hat sich hier und auch zwischen uns nicht etwas geändert?" Das sei ein erster Anfang, um deutlich zu machen, dass man sich mittlerweile zu einem autonomen und selbstständigen Menschen weiterentwickelt habe.
"Zu fragen: 'Hat sich hier und auch zwischen uns, nicht etwas geändert?' wäre so ein erster Anfang auch deutlich zu machen: Ich bin autonom und selbstständig und habe etwas Neues gelernt."
Gleichzeitig helfe es auch zu fragen, was zuhause seit dem Auszug anders geworden ist und, was die anderen Familienmitglieder sich in dieser Zeit von einem wünschen.
Neues von sich einbringen
In einem temporären Zusammenleben, wie bei Franzi, Marie und Jaqueline und ihren Eltern, gehe es darum, dass eine neue Augenhöhe zwischen zwei erwachsenen Menschen entstehe, erklärt Anke Lingnau-Carduck. Hierbei könnte es beispielsweise auch helfen, etwas von sich einzubringen, das man gelernt hat, seit man ausgezogen ist.
Franzi konnte beispielsweise ihren Vater dazu überreden, in den Essensplan auch neue Rezepte von ihr einzufügen. Das habe funktioniert und sie sei ihren Eltern in der gesamten Zeit wesentlich nähergekommen als zuvor. Jetzt möchte Franzi abwechselnd zwei Wochen in ihrer WG und zwei Wochen zuhause verbringen.