Internationale GerechtigkeitDer Internationale Strafgerichtshof – kein Weltgericht für alle
Bomben auf Krankenhäuser in Syrien, Umerziehungslager in China, Gewalt gegen Demonstranten in Venezuela – es gibt viele Beispiele weltweit für schwerste Verbrechen, die ungestraft bleiben. Das sollte sich mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes eigentlich ändern. Klappt das? Ja und Nein, sagt die Juristin Kerstin von der Decken in ihrem Vortrag.
Im Jahr 2002 hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH, engl.: International Criminal Court, ICC) in Den Haag seine Arbeit aufgenommen. 1998 war er gegründet worden, um sich am "weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit" zu beteiligen, so das Selbstverständnis.
"Wer Völkermord begeht, wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, verletzt nicht nur einzelne Menschen, sondern verstößt gegen die absoluten Grundregeln des internationalen Zusammenlebens."
Der IStGH verfolgt als unabhängige Institution die schwersten Verstöße gegen die Menschenrechte: Völkermord, schwere Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggression, also Angriffskriege.
Ende der internationalen Straflosigkeit? Theoretisch ja, praktisch nein
Allerdings: Von der tatsächlichen weltweiten Strafverfolgung sind wir noch entfernt. "Theoretisch haben wir es geschafft", sagt die Kieler Völkerrechtlerin Kerstin von der Decken in ihrem Vortrag. Weil mit dem IStGH ein unabhängiges, internationales Gericht geschaffen worden sei, das – theoretisch – alle Verbrechen auf dieser Welt erfassen könne, einheitliche Straftatbestände für jeden habe und wirklich jeden vor Gericht stelle – sei es nun der einfache Soldat oder ein Staatsoberhaupt. Denn selbst für Letztere gibt es vor dem Gericht keine Immunität.
"Theoretisch ist mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes das Ende der Straflosigkeit eingeläutet worden."
Aber: Praktisch haben wir das Problem, dass die Gerichtsbarkeit des IStGH begrenzt ist, so Kerstin von der Decken. Unter anderem, so die Völkerrechtlerin, weil es am Willen vieler Länder fehle, diese internationale Gerichtsbarkeit zu akzeptieren: Von den knapp 200 Staaten dieser Welt sind nämlich derzeit nur 123* Vertragspartner des dem Gerichtshof zugrunde liegenden sogenannten Römischen Statuts. Viele Staaten fehlen, darunter die größten und einflussreichsten Länder der Erde: Russland, China und die USA. Und damit stehen sie außerhalb der Gerichtsbarkeit des IStGH.
"Es könnte jeder Staat dieser Welt dieses Statut unterzeichnen, und dann hätten wir ein Ende der Straflosigkeit."
In ihrem Vortrag beschreibt Kerstin van der Decken nicht nur die Lücken der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofes, sondern zeigt auf, welche Mittel es gibt, um diese Lücken zu schließen. So haben auch die Vereinten Nationen (UN) Möglichkeiten, die Ahndung von schlimmsten Verbrechen einzuleiten. Außerdem erläutert von der Decken auch die Geschichte des IStGH und wie er konkret arbeitet. Und sie erklärt, was Gerechtigkeit in diesem Kontext überhaupt bedeutet.
Kerstin von der Decken ist Professorin für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Universität Kiel und Direktorin des dortigen Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Grundlagen des Völker- und Europarechts, internationales Umwelt,- Kultur- und Sicherheitsrecht, die Menschenrechte und die friedliche Streitbeilegung. Ihren Vortrag "Das Ende der Straflosigkeit: der Internationale Strafgerichtshof und das Streben nach internationaler Gerechtigkeit" hat sie am 24. Oktober 2019 auf Einladung der Akademie der Wissenschaften Hamburg im Rahmen der Akademievorlesungen 2019/2020 gehalten.
* Anmerkung: Im Vortrag spricht die Rednerin noch von 122 Staaten. Weil aber nach dem Vortrag, am 26. November 2019, noch Kiribati das Römische Statut unterzeichnet hat, sind es bei Ausstrahlung des Vortrags nun 123.