ArbeitszeitVier-Tage-Woche: Weniger oder mehr Stress?
Klingt erst mal super: Nur vier Tage arbeiten, dabei aber gleich bezahlt werden. 45 Unternehmen in Deutschland haben das jetzt ein halbes Jahr getestet. Wir wollten wissen, ob das auch in der Praxis funktioniert.
Weniger Arbeitszeit, dadurch mehr Freizeit und das bei gleichem Gehalt. Anna-Lena arbeitet bei einer Firma für Messtechnik im Kundenservice und findet eine Vier-Tage-Woche gut. Sie hat mehr Zeit für ihre ehrenamtliche Arbeit in ihrem Handballverein. Freitags kann sie sich nun ganz dem Jugendtraining widmen. Sie hat mehr Zeit für Freunde und ihre Familie, aber trotzdem nicht mehr Stress. Denn ihre beruflichen Aufgaben muss sie nun an vier Tagen erledigen, statt wie bisher an fünf.
Die 28-Jährige findet dieses Modell stressfreier, denn sie kann sich schon montags darauf einstellen, dass sie bis Donnerstagmittag alle anfallenden Aufgaben erledigt haben möchte. Das erfordert ein wenig Organisationstalent, sagt Anna-Lena, aber ist dennoch zu schaffen. Inzwischen steht für sie fest, dass sie als Angestellte nicht mehr zum Fünf-Tage-Modell zurückkehren möchte.
"Ich finde, dass ich viel ausgeglichener bin als es bei mir mit fünf Tagen war."
So wie Anna-Lena waren 900 weitere Menschen Teil eines sechsmonatigen Pilotprojekts, das von März bis September in kleinen und mittelständischen Unternehmen getestet wurde. Die Universität Münster hat die Firmen bei der Einführung der Vier-Tage-Woche begleitet und die Ergebnisse inzwischen ausgewertet. Hinter dieser Studie stehen die weltweite Initiative "4 Day Week" und eine deutsche Unternehmensberatung namens Intraprenör.
"Der größte Batzen war, dass sie ihren Perfektionismus ein bisschen aufgegeben haben. Ich als Unternehmerin begrüße das."
Auch das Sanitätshaus von Susanne Sippel hat das Modell mit verkürzten Arbeitszeiten bei voller Bezahlung über sechs Monate ausprobiert. Dafür musste sie einige Veränderungen in der Firma vornehmen: Sie hat in Software und Schulungen investiert, Büros und Besetzungszeiten etwas umgestaltet, Arbeitsplätze flexibler eingerichtet und den Angestellten mehr Verantwortung für den eigenen Arbeitsbereich übertragen.
Ein weiterer wichtiger Faktor: Viele Mitarbeitende mussten ihren Drang nach Perfektionismus etwas einschränken, um in kürzerer Zeit mit der Arbeit fertig zu werden. Susanne Sippel sagt, dass die letzten 10 Prozent einer Aufgabe, oft viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Als Unternehmerin hat sie es sehr begrüßt, dass Angestellte möglicherweise nur noch 90 oder 95 Prozent ihrer Leistung eingebracht haben, um ein schnelleres Ergebnis zu erzielen.
"Das hat dieses Mal einwandfrei funktioniert, weil jeder auch ein persönliches Interesse daran hatte, dass es klappt.
Auch hatte sie den Eindruck, dass ihre Angestellten durch das verlängerte Wochenende dazu angeregt wurden, mehr Ausflüge, Wanderungen und kurze Reisen zu unternehmen. Das habe dazu beigetragen, dass die Angestellten im Job motivierter gewesen seien, berichtet die Unternehmerin. Sie hat auch einen extremen Rückgang der Krankheitsmeldungen in dem halben Jahr der Pilotstudie festgestellt.
Die einzige Schwierigkeit bestehe darin, so Susanne Sippel, das man mit einplanen müsse, dass Mitarbeitende beispielsweise aus Krankheitsgründen ausfallen können und wie man ihre Aufgaben dann am besten verteilt.
Gleicher Umsatz und Gewinn bei geringerer Arbeitszeit
Eine wichtige Frage, die die Studienleiterin Julia Backmann von der Universität Münster beantworten wollte, war die nach der Produktivität. Da die an der Studie beteiligen Unternehmen bei verkürzter Arbeitszeit keine Einbußen bei Umsatz und Gewinn zeigen, leitet die Studienleiterin davon ab, dass die Produktivität mindestens gleich geblieben, in manchen Fällen sogar leicht angestiegen ist.
Um die Produktivität steigern zu können, könnten folgende Faktoren eine Rolle gespielt haben:
- Mitarbeitende in Veränderungen einbeziehen
- Zeit einsparen: unnötige Meetings abschaffen und bestehende Meetings effektiver gestalten
- Ablenkungen verringern: Einige Firmen haben Fokus-Zeiten geschaffen, in denen Mitarbeitende ungestört an einer Aufgabe arbeiten konnten
Cortisol-Messungen bei den Mitarbeitenden zeigten zudem, dass die verkürzte Arbeitszeit sie nicht zusätzlich gestresst hat, sondern dass das allgemeine Stresslevel gesunken ist.
"Was wir sehen, ist, dass die Unternehmen schon signifikant ihre Arbeitszeit reduzieren konnten und gleichzeitig die Kennzahlen, Umsatz und Gewinn stabil geblieben, bis sogar leicht gestiegen sind."
Kritik an der Pilotstudie
Ein Kritikpunkt ist, dass nur 14 von den insgesamt 45 Unternehmen, die an der Studie beteiligt waren, die Arbeitszeit tatsächlich um einen ganzen Tag verringert haben. Also von einer Fünf-Tage-Woche auf vier Tage reduziert haben. Deswegen haben zum Beispiel Arbeitgeberverbände die Aussagekraft der wissenschaftlichen Auswertung angezweifelt. Die Studienleiterin Julia Backmann hat sich zur Kritik geäußert: Es sei in der Studie darum gegangen, herauszufinden, ob insbesondere Firmen, die von sich aus an diesem Modell interessiert sind, damit arbeiten können.
Das Echo bei den Firmen ist positiv: Ein Großteil der beteiligten Firmen wollen das Vier-Tage-Modell beibehalten und haben auch festgestellt, dass sich mehr Menschen bei ihnen bewerben.