Datenschutz in VideokonferenzenWenn das Mikro trotz gedrücktem "Mute"-Knopf anbleibt

Mit Videokonferenzen kennen wir uns nach über zwei Jahren Pandemie inzwischen gut aus. Wenn wir mal kurz nicht mitreden wollen, schalten wir unser Mikrofon aus. Das Problem: Die Apps sammeln bei gedrücktem "Mute"-Button trotzdem weiterhin Audiodaten und schicken sie – teilweise oder vollständig – zum Server.

Wer mutet, kann sich nicht sicher sein, dass sein Mikrofon auch wirklich aus ist, sagt der US-amerikanische Computer-Engineering-Professor Kassem Fawaz von der University of Wisconsin-Madison.

Wenn jetzt bei euch die Alarmglocken schrillen, weil ihr gerade erst mit gemutetem Mikrofon euren Chef verflucht habt, der die Konferenz leitete, kann euch unser Netzreporter Michael Gessat beruhigen: Die anderen Konferenzteilnehmer hören einen mit gedrücktem "Mute"-Button tatsächlich nicht mehr.

Zufällige Entdeckung

Trotzdem bleibt das Mikrofon eingeschaltet, hat Kassem Fawaz entdeckt – und zwar eher zufällig: Bei der Webcam seines Bruders gab es nicht nur ein rotes Aktivitätslämpchen für die ganze Kamera, sondern ein eigenes Lämpchen nur für das Mikrofon. Und das blieb rot, auch wenn er „Mute“ gedrückt hatte. Das Videokonferenz-Programm hatte also weiterhin kontinuierlich Zugriff auf das Mikrofon.

"Praktisch alle Programme und Apps – egal ob Windows, Mac, Android oder iOS – haben kontinuierlich Zugriff auf das Mikrofon. Auch bei gedrücktem 'Mute'-Button."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Daraufhin hat sich Fawaz das mit einem Studenten zusammen mal systematischer angeschaut. Ergebnis: Das war nicht nur bei dieser einen Software so, sondern bei praktisch allen Programmen und Apps, egal ob für Windows oder Mac, für Android oder iOS.

Die Video- und Audiodaten gehen bei einer Konferenz über den zentralen Server des App- oder Programmherstellers. Fawaz und sein Student haben eine Umfrage unter 223 Videokonferenz-Usern gemacht, ob ihnen das klar ist, dass die Programme trotz "Mikro aus"-Knopf weiterhin Zugriff auf das Mikrofon haben. Einem Teil war das klar, dem anderen nicht.

Analyse des Datenverkehrs zwischen App und Server

Die Mehrheit war sich allerdings einig, dass die Apps bei gedrücktem "Mute"-Button keine Audiodaten mehr sammeln können sollten. Tun sie aber. In welchem Umfang das geschieht, haben die Informatiker systematisch erforscht.

Sie haben sich den Datenverkehr zwischen App bzw. Programm und Server angeschaut. Ergebnis: Alle untersuchten Programme schicken zumindest gelegentlich Audiodaten an den Server. Und eine App – eine sehr populäre, sagen die Forscher – schickt sogar den Audiostream in voller Datenrate raus.

"Alle untersuchten Programme schicken zumindest gelegentlich Audiodaten raus zum Server. Eine sehr populäre App schickt sogar den Audiostream in voller Datenrate raus, sagen die Forscher."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Wenn bis auf diese eine Ausnahme alle Programme nur sporadisch das Audio übermitteln, ist das ja alles nicht so schlimm, könnte man jetzt sagen.

Informatiker trainieren eine KI

Kassem Fawaz und der Student haben sich aber die Mühe gemacht, eine künstliche Intelligenz zu trainieren. Diese war im Stande, auch mithilfe der nur rudimentär übermittelten Audiodaten zu erkennen, was die Personen gerade machten, also zum Beispiel kochen, essen, Musik hören oder schreiben. Und das, obwohl die Personen in diesem Moment dachten, ungestört zu sein.

Missbrauch der Daten möglich, aber unwahrscheinlich

Dass die App- bzw. Programmanbieter jetzt unsere "inoffiziellen" Audiodaten irgendwie missbrauchen, sei zwar ein etwas theoretisches Szenario, sagt Michael Gessat. Es gebe aber durchaus Konferenz-Software, die über einen vom Arbeitgeber aufgesetzten Server läuft – in solchen Fällen ist das schon heikler.

"Es gibt Konferenz-Software, die über einen vom Arbeitgeber aufgesetzten Server läuft – in solchen Fällen ist das schon heikler."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Natürlich gibt es für das ganze Problem auch eine wirksame Abhilfe: Das Mikrofon lässt sich auch "richtig" ausschalten, und zwar über die Betriebssystem-Funktion. Das ist aber z.B. unter Windows gar nicht so trivial, sagt Michael Gessat. Da muss man sich erst mal in den Soundeinstellungen zum hoffentlich richtigen Mikro durchklicken.

Mikro übers Betriebssystem ausschalten

Bei iOS muss man der jeweiligen App unter "Einstellungen/Datenschutz" den Zugriff auf das Mikrofon entziehen – was zur Folge hat, dass die App in aller Regel erst mal protestiert. All das machen während einer Konferenz bestimmt die wenigsten, zumal sie das Mikrofon kurze Zeit später vielleicht wieder einschalten müssen, um mitzureden.

Die Forscher finden, aus Datenschutzgründen müsste es eigentlich in allen Betriebssystemen einen leicht erreichbaren generellen "Mikro aus"- Knopf geben. Oder direkt einen Hardware-Schalter am Mikrofon selbst.